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Margarita

Margarita

Margarita ist vor zwei Jahren aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Wir haben ihre Geschichte 2022 veröffentlicht und zum zweiten Jahrestag des Angriffskrieges nochmal mit ihr gesprochen.

Foto: Margarita sitzt barfuß auf dem Boden in einem zerstörten Raum
privat

„Ich vermisse mein altes Leben, das Leben vor dem Krieg. Meine Heimat, wie ich sie kannte, existiert nicht mehr. Das, was ich jetzt dort vorfinde, ist eine Existenz ohne Sicherheit. Denn: Wenn die Rakete fliegt, kann dir niemand mehr helfen.“

Margarita (46) ist vor zwei Jahren, als der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine begann, aus einem Vorort von Kiew nach Deutschland geflüchtet – hat ihren Mann, ihren Bruder, ihren Vater dort zurücklassen müssen. Wir haben ihre Geschichte 2022 veröffentlicht und jetzt nochmal mit ihr gesprochen - über ihr neues Leben in Deutschland, über Angst, Wut, Verzweiflung, Dankbarkeit und Hoffnung.

Margarita, vor zwei Jahren warst du voller Hoffnung, in drei Monaten wieder zurück in deine Heimat kehren zu können. Nun hast du dir ein neues Leben in Deutschland aufgebaut, einen Job und eine Wohnung gefunden. Wie geht es dir damit?

Aktuell fühlt es sich an, als würde ich in zwei parallelen Welten leben. Mein physisches Leben ist in Deutschland, mein psychisches Leben in der Ukraine. Anders kann ich es mir nicht gestatten, zu leben. Ich fühle eine große innere Zerrissenheit in mir. Ich weiß nicht, was der richtige Weg ist: Meinen Menschen von hier aus zu helfen oder vor Ort in der Ukraine etwas zu machen, um die Wirtschaft zu stärken.

Mein Drang nach Leben war so groß, dass ich für mich den Weg entschieden habe, erstmal zu gehen. Aber ich habe oft ein schlechtes Gewissen, mich abends in ein sicheres, warmes Bett zu legen. Denn parallel läuft das Leben in der Ukraine weiter. Der Kontakt zu meinen Menschen dort ist an Handys gekoppelt. Man ist quasi immer in diesem Handy drin, mit dem Kopf und dem Körper. Die Nachrichten, die man bekommt, sind sehr emotional aufgeladen. Und das sind keine schönen Emotionen. Oft wache ich schweißgebadet auf. Manchmal kann ich nicht laufen, weil meine Beine schwer wie Beton sind. Nicht zu wissen, ob all das jemals ein Ende hat, ist für mich das Schlimmste.

Was schaffst du es, mit diesen Gefühlen zu leben?

Ehrlicherweise weiß ich selber oft nicht, wie ein Mensch das aushalten kann. Da ist so viel Verzweiflung, Wut, Trauer, Angst, Sorge in mir. Oft kommen diese Emotionen in Wellen. Als uns die ersten Waffen geliefert wurden, da war ich emotional sehr weit oben. Es kam große Hoffnung auf. Dann sieht man, wie Kleinkinder in Kliniken getötet werden. Diese Ungerechtigkeit ist unfassbar und nicht zu begreifen. Das macht jeden normal fühlenden Menschen innerlich kaputt.

Mir hilft der Gedanke daran, dass ich ja eine Wahl habe, jederzeit nach Hause zurückzukehren. Dieses Gefühl ist immer da. Nur: Meine Heimat, wie ich sie kannte, existiert nicht mehr. Ich habe Heimweh nach einer Welt, die nicht mehr existiert. Ich verarbeite viel mit Musik, schreibe eigene Lieder und versuche, mich den Herausforderungen anzupassen. Mein Alltag gibt mir auch Halt. Diese Flexibilität hat mir geholfen, nicht unterzugehen.

Wie sieht dieser Alltag aus?

Ich habe von Anfang an gesagt, ich möchte auf eigenen Beinen stehen. Ich möchte keine Sozialhilfe, ich möchte unabhängig und keine Last sein. Ich habe eine eigene Wohnung und einen Vollzeitjob gefunden. Abseits davon helfe ich anderen Flüchtenden, hier einen Platz zu finden und anzukommen. So habe ich das Gefühl, nützlich zu sein – für mein Land und meine Menschen. Dieses Gefühl stützt mich.

Hast du denn auch das Gefühl, angekommen zu sein? Würdest du Deutschland vielleicht mittlerweile sogar als zweite Heimat bezeichnen?

Ich würde sagen, es geht nicht darum, eine zweite Heimat zu finden. Denn danach habe ich ja nicht gesucht. Ich bin den Menschen in Deutschland aber sehr dankbar, dass sie bereit waren, aus ihrer Komfortzone zu treten und uns zu helfen. Uns willkommen zu heißen. Und auch zu akzeptieren, wenn man mal nicht reden will und Ruhe braucht. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die immer da sind, wenn ich Hilfe brauche, die zu einer Art Familie geworden sind. Und es gab ja auch eine gewaltige Änderung auf politischer Ebene. Die deutsche Politik ist wirklich sehr bemüht, uns zu helfen. Wie Olaf Scholz sich positioniert, dafür möchte ich mich wirklich von Herzen bedanken.

Warst du seit Kriegsbeginn nochmal in der Ukraine?

Ja, zuletzt im Herbst. Ich hatte große Angst vor diesem Schritt. Unser Haus ist noch nicht zerbombt. Aber eins in der Nachbarstraße. Ich habe dort gemerkt, wie meine Identität immer weiter ruiniert und vernichtet wird. Die Schule, in der ich meinen ersten Unterricht als Lehramtsanwärterin gegeben habe, ist zerstört. Damit ist mir auch ein Stück meiner Persönlichkeit genommen worden.

Dann waren so viele Menschen, die man sonst im eigenen Umfeld hatte, einfach nicht da und die Sirenen sind natürlich keine Musik. All das sind Dinge, die niemand heutzutage noch erleben sollte. Und es tut besonders weh, dass unser Feind kein Fremder ist. Unser Feind kennt uns, versteht unsere Sprache. Wir sind teilweise verwandt. Das kann man im Kopf und im Herzen einfach nicht begreifen.

Was hat die Todesmeldung von Alexej Nawalny in dir ausgelöst?

Dieser Mensch hat sein Leben geopfert. Mit seinem Tod ist auch mein Funken Hoffnung an die Menschen in Russland verloren gegangen. Was soll noch passieren, damit die Menschen aufwachen? Es gibt Demokraten in Russland, aber leider viel zu wenige. Und diese schafft Putin aus dem Weg, sie werden einfach vernichtet.

Die Gefühle, die jetzt beim Thema Nawalny aufkommen, sind für mich aber nicht neu. Für meinen alten Arbeitgeber in der Ukraine habe ich das Projekt Belarus betreut. Es gab einige Wenige dort, die keine Angst hatten, über beziehungsweise gegen die Regierung zu sprechen, obwohl wir natürlich in ihren Augen eine feindliche Organisation waren. Die meisten von diesen Menschen wurden verhaftet oder sind gestorben. Einige von ihnen wurden gezwungen, in Videobotschaften ihre Aussagen zurückzunehmen und zu betonen, Lukaschenko führe in die richtige Richtung. Sie wurden manipuliert und verängstigt - ein Angriff auf die Menschenwürde. Was ich damit sagen will: Nawalny ist kein Einzelfall. Die „Nawalny-Fälle” sind Alltag.

Und all das zeigt ja auch, wie wertvoll eine Demokratie ist. Demokratie ist nichts Selbstverständliches. Für eine Demokratie muss man was tun. Im ersten Schritt muss man erstmal die Werte begreifen, die eine Demokratie mit sich bringt.

Was ist, abseits von Frieden, dein größter Wunsch?

Gerechtigkeit. Es gibt keine Bestrafung für das Töten von Menschen, für die Vernichtung einer ganzen Nation und das alles in Anwesenheit von Millionen Menschen weltweit. Putin ist ein Mörder, ein Verbrecher, ein Vergewaltiger. Wenn wir uns nicht verteidigen können, werden wir vernichtet. Ich wünsche mir eine gesicherte Gegenwart, ein Gefühl der Verbundenheit unter uns Menschen. Damit wir alle ein würdiges, gerechtes Leben führen können.

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