arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

1972 | Renger wird Bundestagspräsidentin

Foto: Annemarie Renger (M) im Bundestag während der Wahl des Bundeskanzlers (Archivfoto vom 14.12.1972)
dpa

13. Dezember 1972
"Es ist bewiesen, dass eine Frau das kann"

Nach ihrem großen Sieg in der Bundestagswahl 1972 ("Willy wählen!") stellt die SPD erstmals die größte Fraktion im Deutschen Bundestag. Den Regeln zufolge kann sie nun auch erstmals den Bundestagspräsidenten stellen. Es wird eine Präsidentin; ebenfalls: erstmals.

"Ich habe mich in der Fraktion selber vorgeschlagen," erzählt Annemarie Renger später: "Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen?" Freilich ist sie zu diesem Zeitpunkt schon seit drei Jahren Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion – die erste Frau in diesem Amt – , seit 1953 ist sie MdB. Annemarie Renger ist längst aus dem übergroßen Schatten Kurt Schumachers herausgetreten.

Als dessen Stütze, als die junge, starke, glänzend aussehende Frau an der Seite des körperlich mitgenommenen SPD-Vorsitzenden der Nachkriegszeit ist sie bekannt geworden. Doch Schumacher lebt schon seit August 1952 nicht mehr.

"Ich bin ein Stück Sozialdemokratie"

Annemarie Wildung wird am 7. Oktober 1919 in eine sozialdemokratische Familie in Leipzig geboren. Ihre Mutter Martha ist seit 1908 Mitglied der SPD. Ihr Vater Fritz ist gelernter Tischler und seit 1924 Geschäftsführer der Zentralkommission für Arbeitersport in Berlin. Die Nazis belegen ihn 1933 mit einem Berufsverbot.

Tochter Annemarie muss das Lyzeum 1934 verlassen, weil ihr wegen der sozialdemokratischen Gesinnung ihrer Eltern das Schulgeld nicht mehr erlassen wird. Annemarie Wildung, seit 1938 Annemarie Renger, absolviert eine Verlagslehre und wird Verlagskauffrau.

Ihr Mann Emil Ernst fällt 1944 als Soldat in Frankreich. 1945 liest Annemarie Renger eine Rede des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher: "Wir verzweifeln nicht" – und bewirbt sich per Brief um eine Stelle als seine Sekretärin.

Nie mehr Krieg!

Ab 1946 leitet Annemarie Renger Schumachers Büro, erst in Hannover, dann in Bonn. Sie wird zu seiner Rechten Hand – und Lebensgefährtin. "Ich wollte mithelfen, dass die Welt keinen Krieg mehr erleben muss," begründet sie später ihren Eintritt in die SPD 1945.

Von 1953 bis 1990 gehört Annemarie Renger ununterbrochen dem Bundestag an. Nach der Wahl 1976 ist sie 14 Jahre lang dessen Vizepräsidentin. 1979 unterliegt sie bei der Wahl des Bundespräsidenten dem CDU/CSU-Kandidaten Carl Carstens.

Annemarie Renger ist für ihr stets formvollendetes und makelloses Auftreten bekannt. Legendär ist ihre an den damaligen Juso-Vorsitzenden und frisch gewählten MdB Gerhard Schröder gerichtete Aufforderung: "Genosse Schröder, wenn morgen die Wahl des Bundeskanzlers ist, bindest du Dir aber eine Krawatte um, wie es sich gehört!" Schröder parierte.

Noch im hohen Alter ist Annemarie Renger an ihrem letzten Wohnort Remagen-Oberwinter immer zugegen, wenn die Partei sie ruft. Gern fährt sie dabei im antiken Mercedes-Cabriolet vor. Sie wird 88 Jahre alt. Nach ihren vier Amtsjahren als Bundestagspräsidentin stellte Annemarie Renger fest: "Ich habe in dieser Zeit erreicht, was ich wollte: Es ist bewiesen, dass eine Frau das kann."