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1776 | Unabhängigkeitserklärung

Das Bild nach einer Lithografie von Currier und Ibes aus dem Jahr 1876 zeigt John Hancock, einer der Mitglieder des Kontinentalen Kongresses, nach der Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1776 in Philadelphia.
dpa

4. Juli 1776
Die USA als Vorbild: „Das vollendetste Beispiel des modernen Staats“

13 nordamerikanische Kolonien erklären ihre Unabhängigkeit von Großbritannien. Sie tun das mit unerhörten Worten: Alle Menschen seien gleich erschaffen und hätten unveräußerliche Rechte. Auf denselben Grundsatz wird sich knapp hundert Jahre später auch die Sozialdemokratie berufen.

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden. Dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit…“.

(Übersetzung: Pennsylvanischer Staatsbote, Philadelphia, 5. Juli 1776)

Die im wesentlichen von Thomas Jefferson geschriebene Unabhängigkeitserklärung wird in den folgenden Jahrzehnten überall dort zitiert, wo Menschen unter feudalen, ständischen Systemen leiden, wo Zensur herrscht, wo „gottgewollte“ Willkür-Regimes Menschen in Klassen einteilen.

Also überall in Europa. Dreizehn Jahre später folgen die Franzosen dem amerikanischen Beispiel. Sie schütteln die Monarchie ab – im Zeichen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Sozialdemokratie nimmt diesen Ruf auf und übersetzt ihn schließlich in: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Nicht perfekt, aber Europa immerhin voraus

Denn zwar obsiegen die Revolutionäre in Nordamerika und Frankreich, aber ihren Idealen bleiben sie nicht treu. In den USA ist noch fast hundert Jahre lang die Sklaverei erlaubt – selbst Jefferson hält Sklaven – , und Frauen bleiben zunächst von vielen Rechten ausgeschlossen, auch dem Wahlrecht.

Zudem: wen die neue Freiheit reich macht, der will selten seinen Wohlstand mit denen teilen, die ihm dazu verholfen haben – seinen Arbeitern. Die industrielle Revolution bringt neue Klassenunterschiede hervor.

Die USA sind nicht perfekt. Dennoch sind sie für Karl Marx „das vollendetste Beispiel des modernen Staats"“. Dazu die Historikerin Beatrix Bouvier:

„Schon 1842/43 hatte Marx Institutionen, demokratische Rechte und Freiheiten sowie Verfahrensweisen – demokratische Republik, föderalistisches Land ohne Staatsreligion, Pressefreiheit, Gewaltenteilung – gewürdigt.“

(Quelle: Beatrix Bouvier, Amerika im Denken von Karl Marx, in: Am Sternenbanner das Geschick der Arbeiterklasse, WVT Trier 2013.)

Marx bewundert Abraham Lincoln

Später wird Marx den amerikanischen Bürgerkrieg aufmerksam verfolgen. Er sieht im Austritt der Südstaaten aus der „großen demokratischen Republik“ USA „einen Kreuzzug des Eigentums gegen die Arbeit“. Karl Marx himmelt 1864 in der Zeitung des ADAV „Der Sozialdemokrat“ den amerikanischen Präsidenten und Sklavenbefreier Abraham Lincoln geradezu an und stellt fest:

„Vom Anfang des amerikanischen Titanenkampfes an fühlten die Arbeiter Europas instinktmäßig, dass an dem Sternenbanner das Geschick ihrer Klasse hing…“

Schon nach der gescheiterten deutschen Revolution von 1848 fliehen viele Demokraten in die USA. Am Ende des Jahrhunderts werden Millionen von Auswanderern ihrem Beispiel folgen. Einige von ihnen werden nach dem Beispiel der deutschen Sozialdemokratie in den USA Parteien und Gewerkschaften gründen – und auf den erbitterten Widerstand der Kapitaleigner stoßen.

Der 1. Mai als Feiertag hat seinen Ursprung in Chicago

Aus Solidarität mit den Arbeitern von Chicago ruft die Zweite Sozialistische Internationale bei ihrer Gründung den am 14. Juli 1889 den 1. Mai zum Kampftag der Arbeiterbewegung aus. Sie tut das nicht zufällig exakt am hundertsten Jahrestag des Beginns der Französischen Revolution.

Wilhelm Liebknecht, neben August Bebel die Führungsgestalt der zu diesem Zeitpunkt verbotenen und verfolgten Sozialdemokratie, ist gerade von einer Amerikareise zurückgekehrt – und hat 16000 Mark an Spenden für die Untergrundarbeit mitgebracht. Liebknecht schreibt über seine Reise ein Buch: "Ein Blick in die neue Welt“, erstmals erschienen im Dietz-Verlag – damals Stuttgart – 1887. Darin hält er dem Bismarck’schen Unterdrückerstaat die USA als leuchtendes Vorbild entgegen:

„Ich finde einen Gemeinsinn, von dem wir keinen Begriff haben, eine Begeisterung für Recht, Freiheit, Fortschritt, Volkswohl, wie ich sie auch nicht annähernd in den Ländern der alten Welt entdeckt habe.“

(Quelle: Jürgen Schmidt, „Die Republik mit dem Sternenbanner hat keine Bürger zweiter Klasse“, in: Am Sternenbanner hängt das Geschick der Arbeiterklasse, WVT Trier 2013)

Flecken auf dem Sternenbanner

Allerdings bemerkt auch Liebknecht, dass die Freiheitsliebe nach Art der USA Gewinner und Verlierer hervorbringt. Die Vertreibung und Ermordung der Prärie-Indianer erschüttert seinen Fortschrittsglauben. Er begegnet "himmelanstinkenden Krämerseelen", sieht in Ohio "qualmende Schlote überall" und stellt fest, dass die Fabrikbesitzer erste Vorschriften zum Umweltschutz grob missachten.

In Massachusetts wird Liebknecht Zeuge menschenunwürdiger Arbeitsverhältnisse und schreibt:

"…als diese Armee von Frauen und Mädchen und Kindern an mir vorbeizog, und ich auf dem Antlitz der Frauen und Mädchen den Stempel der Sorge und erschlaffender Arbeit erblickte und auf dem Antlitz der Kinder schon den traurigen Ernst des Kampfes um das Dasein – da steckte ich meine Bewunderung Amerikas um einige Pflöcke zurück, und das Sternenbanner, welches mir gegenüber im Herbstwind flatterte, erschien mir nicht mehr so sauber wie vorher."