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Aktuelles

Foto: Führende Sozialdemokraten kommen aus ganz Europa in Berlin zusammen
Götz Schleser
15.10.2022 | Europäische Union

Eine Zeitenwende für Europa

Lars Klingbeil, Sanna Marin, Pedro Sánchez

An diesem Wochenende kommen in Berlin führende Sozialdemokrat:innen aus ganz Europa zusammen. Hier schreiben Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez, Finnlands Regierungschefin Sanna Marin und SPD-Chef Lars Klingbeil, was sie von Europa erwarten. Der Beitrag erschien zunächst parallel in der „DIE ZEIT“, in der spanischen „El País" und in der finnischen Zeitung "Demokraatti".

Coronapandemie, wirtschaftliche Ungewissheiten, Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Energiekrise: Europa steht vor epochalen Herausforderungen und Umbrüchen. Globale Herausforderungen wie der Klimawandel erfordern globales Handeln und politische Führung, um sie zu bewältigen. Autoritäre Regime bemühen sich nicht nur darum, die multilaterale Ordnung aufzulösen, sondern auch die Demokratie und unsere gemeinsamen Werte weltweit zu untergraben. Es zeigt sich, worauf unsere Bürgerinnen und Bürger sich verlassen können: ein starkes Europa.

Die Europäische Union wurde gegründet mit dem Ziel, Krieg auf unserem Kontinent unmöglich zu machen. Dazu konnten wir uns auch auf unsere engen Partner auf der anderen Seite des Atlantiks verlassen. Freundschaft und Kooperation statt Krieg und Zwietracht. Die Europäische Union ist das erfolgreichste Friedensprojekt der langen und blutigen europäischen Geschichte. Es ist unsere politische Verantwortung, alles dafür zu tun, dass dies so bleibt.

Putins völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine hat die europäische Sicherheitsordnung in ihren Grundfesten erschüttert. Der Krieg ist ein Angriff auf den internationalen Frieden und die Sicherheit, auf unsere europäischen Werte, unsere Demokratie und unsere Lebensweise. Putin will die Ukraine zerstören und Europa spalten. Putin bemüht sich um Unterstützung durch unsere Partner in Afrika, Asien und Südamerika für seinen völkerrechtswidrigen Krieg, der in Wirklichkeit nichts anderes als brutaler Imperialismus ist.

Aber Putin hat sich massiv verkalkuliert. Die Ukrainerinnen und Ukrainer verteidigen ihr Land, auch dank umfangreicher Unterstützung aus Europa, heldenhaft. Wir unterstützen die Ukraine so lange, wie sie unsere Unterstützung benötigt. Die Europäische Union steht jetzt so geschlossen und stark da, wie lange nicht. Die Einigkeit und Geschwindigkeit, in der umfangreiche Sanktionen gegen Russland verhängt wurden, sind beispiellos.

Die Sicherheitsordnung in Europa hat sich unwiederbringlich verändert. Deshalb ist der Beitritt von Finnland und Schweden zur NATO richtig. Wir sind überzeugt, dass unsere eigene Stärke der Garant für die Friedenssicherung in Europa ist. Dies ist zugleich Auftrag, die europäische Säule in der NATO in den kommenden Jahren entschieden auszubauen und die europäische Forschung und Entwicklung im Bereich der Verteidigung zu stärken.

Auf der anderen Seite fordert dieser Krieg die soziale Stabilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt überall in Europa heraus. Das ist Putins Ziel: Europa spalten, Populisten und Extremisten stärken und die Demokratie, die er verachtet, in den Abgrund treiben. Aber damit wird er nicht durchkommen.

Schon während der Corona-Pandemie haben wir gezeigt, dass Europa den Bürgerinnen und Bürgern soziale Sicherheit bringt. Dank der Führung europäischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sind wir gut durch die Krise gekommen. Mit unserer europaweiten Finanzierung von Kurzarbeit haben wir Unternehmen vor der Insolvenz und Menschen vor dem sozialen Abstieg geschützt. Gleichzeitig haben wir mit NextGenerationEU dafür gesorgt, dass der Wiederaufbau nach der Pandemie durch Investitionen in Klimaschutz, Innovation und Digitalisierung gestärkt wird.

Die nächsten Jahre werden eine Herausforderung, die wir nur gemeinsam auf europäischer Ebene lösen können. Wir beobachten mit Sorge, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte an die
Macht gelangt sind und damit spielen, den gemeinsamen europäischen Weg zu verlassen, oder zumindest seinen Erfolg zu gefährden.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gehen einen anderen Weg. Für uns ist die europäische Zusammenarbeit, das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Kompromissen über Grenzen hinweg der Weg in eine gute europäische Zukunft, auch wenn dies nicht einfach ist.

Eine entschlossene, koordinierte und solidarische europäische Antwort ist wichtig, um die Ausbreitung der Krise einzudämmen. Wir müssen unerschütterlich zu unserem Engagement stehen, die Ukrainerinnen und Ukrainer zu unterstützen und gleichzeitig die sozia len und wirtschaftlichen Auswirkungen des grausamen Krieges innerhalb der Europäischen Union aufzeigen und mindern.

Wir müssen handeln, um die Energiemärkte zu stabilisieren. Wir müssen die Regeln des Energiemarktes so ändern, dass Energiepreise effektiv sinken. Ein wichtiges Mittel, um dies zu erreichen, ist ein europäischer Rahmen, mit dem Zufallsgewinne im Energiesektor abgeschöpft werden können. Niemand sollte aufgrund der Krise um seine Existenz bangen müssen, und niemand sollte durch die unvorhergesehene Situation auf den Energiemärkten Rekordprofite erzielen.

Ein souveränes Europa ist energiepolitisch unabhängig von Energieimporten aus Diktaturen und Autokratien. Wir wollen alles dafür tun, den Ausbau erneuerbarer Energien überall in Europa schnell voranzutreiben, europäische Netze und Speicherkapazitäten auszubauen und mit der Förderung klimafreundlicher Technologien Innovationen freizusetzen. Damit schaffen wir langfristig Arbeitsplätze in hoher Qualität, eine starke Wirtschaft und eine saubere Zukunft in Europa. Wir haben den Anspruch, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen und damit auch ein Vorbild und attraktiver Partner für andere zu sein, während wir gleichzeitig die Schwächsten schützen und einen gerechten Wandel für alle sichern. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden wir auch in der gegenwärtigen Kriseden Weg zu einem grüneren, sozialen und feministischen Europa vorantreiben.

Europa ist auch heute weiter ein attraktives politisches Zentrum und ein attraktiver Partner in einer sich verändernden Welt. Wir müssen diese Rolle annehmen. Europa muss sich als geopolitische Akteurin begreifen. Dazu gehört, dass ein friedliches, freies und fortschrittliches Europa auch für neue Mitgliedstaaten offen sein muss. Wir begrüßen die Entscheidung, der Ukraine und Moldau eine Mitgliedsperspektive zu eröffnen, bieten Georgien eine europäische Perspektive und unterstützen voll und ganz den EU-Beitritt unserer Partner auf dem Westlichen Balkan, wenn sie alle Kriterien erfüllen. Wir werden diesen Prozess politisch begleiten und vorantreiben.

Eine erweiterte Union muss jedoch auch durchsetzungsstark sein. Europas Stärke hängt von seiner Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit ab. Deshalb brauchen wir mehr Beschlussfassungen mit qualifizierter Mehrheit, zum Beispiel in der europäischen gemeinsamen Außenpolitik und der Sicherheitspolitik. Und wir brauchen einen stärkeren Mechanismus, der Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Europa verteidigt und Korruption bekämpft.

Alle müssen sich dafür bewegen. Der Kompromiss nach vorne war immer die größte Stärke Europas. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden unseren Beitrag dazu leisten.