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Aktuelles

26.05.2020 | Lars Klingbeil & Alice Greschkow im "The Talking Red"-Podcast

"Wir brauchen einen Beschäftigtendatenschutz"

Anna: Hallo, hier ist Anna aus der digitalen Kommunikation vom Willy-Brandt-Haus und ich spreche heute mit unserem SPD Generalsekretär Lars Klingbeil und Alice Greschkow. Sie ist Autorin und Beraterin, zum Thema Zukunft der Arbeit und wird als Expertin in der zweiten „In die Neue Zeit Onlinekonferenz“ zu Gast sein.

Unser Podcast ist ein kleiner Trailer für dieses Event und wir wollen heute mal die Fragen beantworten: Wie sehen die Jobs der Zukunft aus, können wir in Zukunft auch mit einer 20 Stunden Woche Karriere machen und führt mehr Flexibilität zu mehr Solidarität?

Hallo Lars und hallo Alice.

Alice & Lars: Hallo und vielen Dank für die Einladung.

Anna: Alice, als Vertreterin der Generation Y, bist Du ja quasi mitten im Thema. Wie stellst Du dir denn die Zukunft der Arbeit vor?

Alice: Das ist richtig, ich bin mit meinen 30 Jahren genau Generation Y Klischee. Ich denke langfristig, so in zehn Jahren, wird die Arbeitswelt noch flexibler und digitaler werden. Es wird viel normaler, dass wir mit digitalen Instrumenten arbeiten, die jetzt in der Corona Krise auf einmal einen Aufschwung bekommen haben. Das wird nicht nur Zoom sein, das werden Plattformen für kollaboratives Arbeiten sein. Aber es ist dann halt nur ein Teil der ArbeitnehmerInnen, auf die das dann zutrifft. Wir sprechen momentan verstärkt über einen bestimmten Dienstleistungssektor, der von diesen digitalen Technologien profitieren kann und für den sich tatsächlich auch Effizienzsteigerungen einstellen werden. Allerdings sprechen wir wenig in der öffentlichen Debatte, jenseits von den Homeofficeberufen. Was ist mit Industrie, was ist mit den Niedriglohnjobs, da wird es glaube ich zusätzlich zu mehr Druck kommen. Ich meine, die Prognosen, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aufstellt, sind ja auch mehr ambivalent.

Anna: Jetzt hast Du gesagt, es geht um die Homeoffice-Berufe und vor allem auch um den Dienstleistungssektor. Ist da eigentlich der Hauptunterschied auszumachen, zwischen den jungen Leuten heute und den „Silberrücken“ der Arbeitswelt und in den anderen Jobs geht es weiter, wie bisher? Wie siehst Du das?

Alice: Also, ich denke digitale Kompetenz und digitale Offenheit sind keine Frage des Alters. Ich kenne Leute, die jetzt im Alter meiner Eltern sind. Die fühlen sich wohl und empfinden das als sehr angenehme Abwechslung. Die sind zum ersten Mal im Homeoffice und finden es zunächst einmal klasse, dass sie Pendlerzeit einsparen und dadurch auch morgens ein bisschen später aufstehen können. Das sie auf einmal ihre zeitliche Einteilung in der eignen Hand haben ist positiv gegenüber jungen Menschen, die auf einmal immer digitale Präsenz zeigen müssen. Es gibt ja auch dieses Phänomen der Onlinepräsenz: Ich schicke ganz viele Emails raus, damit ich zeige, ich bin da, ich mache meine Überstunden. Es ist jetzt eine Studie herausgekommen, die zeigt, dass insbesondere junge Menschen, die Verfügbarkeit unter diesem Druck, ständig erreichbar zu sein und irgendwie noch seine Karriere, aus der Distanz zu forcieren, besonders groß ist.

Anna: Ja und vor allem, dieses goldene Dienstjubiläum mit Blumenstrauß und Armbanduhr, was ja früher Standard war, das ist ja für junge ArbeitnehmerInnen offenbar kein Ideal mehr und es ist ja auch nicht realistisch. Lars, findest du es schade, dass es so etwas nicht mehr gibt?

Lars: Also, ich glaube so etwas wird es tatsächlich noch geben. Das ist glaube ich nichts, was jetzt vom Arbeitsmarkt verschwindet. So ist meine Einschätzung. Mein Eindruck ist, es wird bunter werden, es wird viel normaler sein, dass man Jobs wechselt, oder auch mal die Bereiche wechselt. Wie ich das in der letzten Zeit gelesen habe, gerade in der Vorbereitung auf die online Konferenz, steht die Frage nach dem Sinn zu dem was ich tue, sehr im Vordergrund. Ich will gar nicht bewerten ob das jetzt besser oder schlechter ist, wenn gewechselt wird. Politik muss einfach akzeptieren, dass es so ist und sich fragen, wie man Rahmenbedingungen setzen kann. Aber das, was ich von meinen Eltern kenne das man sagt: „Du fängst mit 16 an zu arbeiten und bist dein ganzes Leben im gleichen Unternehmen und arbeitest Dich die Karriereleiter hoch“, ich glaube das wird immer weniger. Die Frage ist, wie kannst du das neu absichern. Das ist ja das, was uns morgen auf der Konferenz beschäftigen wird. Ich glaube Franz Müntefering hat mal gesagt: „Wenn die Leute nicht ins normale Arbeitsverhältnis wollen, dann kannst du ihnen auch nicht mehr helfen“. Ich glaube diese Zeit ist heute vorbei. Ich würde das aber als Chance sehen, wenn Leute etwas sinnstiftendes finden wollen. Aber ein Aspekt noch, denn das hat Alice gerade angesprochen. Wir müssen nicht nur darauf gucken, wo akademische Eliten diskutieren, welche Chancen da sind. Die Supermarktkassiererin kann jetzt nicht ins Homeoffice wechseln, oder macht einen Bruch und geht ins Ausland. Ich finde es wichtig, die Chancen zu diskutieren, aber ich möchte einfach, dass wir uns auch um die kümmern, die wir gerade in der Coronakrise als systemrelevant identifiziert haben. Die dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Dann sind wir jetzt wirklich in der Bringschuld in den nächsten Jahren.

Anna: Genau, das ist mir auch gerade aufgefallen. Wir haben schon festgestellt, dass Digitalisierung und Flexibilisierung charakteristisch sind für den modernen Arbeitsmarkt. Aber wirklich profitieren, können ja nur wenige Privilegierte...

Lars: Da möchte ich kurz einhaken. Ich weiß gar nicht ob das wirklich so ist. Wenn ich bei mir im Wahlkreis in einem Altenheim bin und da laufen die PflegerInnen mit einem Tablet rum und laufen nicht immer wieder zurück zum PC, dann ist Digitalisierung auch da eine Chance. Wenn man aber sagt, jetzt könnt ihr aber 5 Pflegekräfte in 30 Minuten 8 Menschen machen, denn ihr habt ja das iPad, dann ist es negativ. Eine Bereicherung für den Job ist es, wenn man sagt: „Jetzt könnt ihr Euch dafür mal 5 Minuten hinsetzen und mit den Menschen reden“. Auch der LKW-Fahrer, der immer mehr mit einem digitalen Cockpit unterwegs ist. Wenn der Chef in der Zentrale sehen kann, wie oft hält der Fahrer an und wie lange macht der Pause, dann ist das negativ. Wird es dazu genutzt, Fahrsicherheit zu sichern und dabei zu helfen, dann ist es was Positives. Also meine These ist schon, dass alles, was man sich vorstellen kann mit Digitalisierung zu tun hat und ob es zu einer Chance, oder zu etwas Negativem wird, das hängt auch wieder von den Rahmenbedingungen ab und wie wir zum Beispiel Tarifverträge oder Arbeitsschutzstandards setzen. Wie wir Beschäftigtendatenschutz sicherstellen, das betrifft dann wieder alle Bereiche.

Anna: Wie siehst Du das Alice?

Alice: Es ist eine Chance. Aber es ist auf jeden Fall auch beides. Ich denke es kommt sehr stark auf den Beruf und den Sektor an. Ich sehe halt auch das Potential, dass man Fortschritt immer positiv münzt. Das sieht man ja auch historisch überall, wo Automatisierung und Fortschritt Einzug gehalten hat, da sind die Arbeitsbedingungen in der Regel einfacher geworden. Gerade für die Menschen, die in körperlich anstrengenden Berufen tätig sind. Auf einmal können dann die Maschinen Dinge leichter machen. Auf einmal hat dann der Fortschritt dazu geführt, dass Menschen weniger gefährliche Berufe haben und weniger erschöpft sind. Auch die Gesundheit hat sich verbessert. Für mich ist es noch nicht so klar, wo wir die Frage der mentalen Gesundheit einordnen und es ist für mich auch noch nicht vollkommen klar, wie das Verhältnis von den Unternehmen zu der Politik und zu den ArbeitnehmerInnen steht. Was ich gerade beobachte ist, dass manche Unternehmen sehr fix darin sind, digitale Instrumente einzuführen. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber es gab jetzt letztens Berichte darüber, dass in Waren- und Lagerhäusern von großen Versandketten, Trackingsysteme eingeführt wurden. Es gibt zusätzlich immer mehr Methoden, um Druck auf die Arbeitnehmerinnen auszuüben. Egal ob sie jetzt im Büro sitzen, oder sie in der Logistik sind. Das halte ich für gefährlich und da sind wir auf einem falschen Weg und wir machen die Arbeitswelt dadurch noch stressiger als sie für viele schon ist. Gerade in Jobs, die eh schon schlecht bezahlt sind, und dann kommt noch zusätzlicher Druck drauf. Ich glaube, da muss man wirklich die Augen aufmachen.

Anna: Lars, was sagst Du dazu, wenn Du das hörst? Ist da auch die Gefahr der Überwachung und wie können wir das verhindern?

Lars: Das können wir verhindern, in dem man sich technisch bewusstmacht, was da passiert und was die Möglichkeiten sind. Und wir brauchen einen Beschäftigtendatenschutz. Ein Thema, das die SPD seit Jahren mit den Gewerkschaften vorantreibt. Es geht immer um die Chancen und Risikobetrachtung. Ich kann Abläufe optimieren, aber wenn ich sie so betrachte, dass ich auf den einen Arbeitnehmer schaue und ihm sage, um dich herum sind alle Aktiver, dann ist es schwierig. Wir wollen eine eigene gesetzliche Grundlage, die leider mit der Union gerade nicht machbar ist. Hubertus Heil arbeitet da trotzdem dran und der Konflikt wird sicherlich zur Bundestagswahl wieder zunehmen.

Anna: Wenn wir hören, dass Unternehmen wie Twitter Home-Office als Dauerlösung etablieren wollen, oder bei Dell sind derzeit mehr als 90 Prozent der Vollzeitkräfte Weltweit daheim. Wenn das Schule macht und gleichzeitig immer weniger Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert sind, wie schaffen wir es dann Zusammenhalt und Solidarität unter den ArbeitnehmerInnen zu erhalten?

Lars: Ich finde das total wichtig. Sich gewerkschaftlich zu organisieren ist wichtig. Da werbe ich auch immer für, selbst bei den Startups. Wenn Du denen etwas von 35 Stunden Wochen erzählst, dann schauen die dich an, als würdest Du chinesisch reden. Das sind Gründer, die wollen 80 Stunden arbeiten, um etwas zu erreichen. Aber irgendwann kommt die erste Krise, das erste gesundheitliche Problem. Dann merkt man, dass ein Sozialstaat gar nichts schlechtes ist. Das ist dann der Moment, wo alle begreifen, dass es sich doch lohnt, mal einen Interessenvertretung wahrzunehmen. Es gibt ja mittlerweile auch die ersten Ansätze. Da passiert schon was. Da bin ich gar nicht pessimistisch.

Alice: Also, ich finde, was gerade in der Homeoffice-Bewegung in den großen Konzernen geschieht total spannend. Da ist sehr viel Neugier. Das ist ein soziales Experiment und wir sehen gerade, das einerseits eine Entzauberung passiert und ich glaube, das kann auch wieder ein Push sein, um die Motivation für mehr gewerkschaftliche Beteiligung sein. Denn die Leute merken, dass sie zuhause isoliert sind. Ihnen fehlen Arbeitsmaterialien und die Kommunikation läuft schlecht. Sie bekommen auch mal Rückenschmerzen, wenn sie nur vorm Laptop sitzen. Es gibt da auf einmal ganz viele Fragen die sich stellen. Ich kann mir schon vorstellen, dass auf die Dauer betrachtet Menschen sich schon überlegen, wie können wir diese Dinge eigentlich verbessern. Dieses Experiment zeigt wer die Profiteure sind, aber es zeigt auch, dass es nicht perfekt ist und das man einen Bedarf zum nachjustieren hat.

Anna: Jetzt haben wir viel darüber gesprochen, was potentielle Gefahren sind und worauf wir auch achten müssen. Jetzt wollen wir doch auch mal darüber sprechen, was vielleicht positiv sein kann. Kann ich in einer zukünftigen Arbeitswelt mit 20 oder 30 Stunden auch Karriere machen?

Alice: In der Theorie ja, in der Praxis nein! Das ist halt ein Argument das Keynes vor über 100 Jahren sagte: Wir werden sehr bald nur noch 15 Stunden in der Woche arbeiten, weil wir so produktiv sind, dass wir alle Grundbedürfnisse decken können. Es ist ja so nicht gekommen. Natürlich ist die Arbeitszeit gesunken, aber es gibt halt genauso diesen Trend zu Überstunden und Präsenzzeit. Wir können halt nicht ändern, dass vielerorts trotz einer flachen Hierarchie, doch irgendeine implizierte Hierarchie gelebt wird. Diejenigen, die halt weiterkommen müssen, oder weiterkommen wollen, müssen sich halt anpassen, auch wenn es theoretisch möglich wäre, 20 bis 30 Stunden zu arbeiten. Wir leben alle etwas länger und müssen dementsprechend auch unser Arbeitsleben darauf umjustieren. In der Praxis wäre ich da sehr vorsichtig!

Anna: Ist das überhaupt etwas, was die junge Generation der ArbeitnehmerInnen umtreibt, dass sie flexibler arbeiten wollen, oder was würdest Du sagen? Woran ist die Zufriedenheit der Menschen geknüpft in einer modernen Arbeitswelt?

Alice: Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit, auf jeden Fall. Das wurde auch in mehreren Umfragen belegt, dass man das Gefühl haben muss, mit seinen Taten auf der Arbeit einen Beitrag zu leisten. Da ist relativ egal, ob man für ein Unternehmen oder für einen öffentlichen Sektor arbeitet. Dieses Gefühl, ich bin lediglich eine kleine Schraube in einem Uhrwerk, dass reicht nicht mehr, um junge ArbeitnehmerInnen zu gewinnen. Wenn jetzt die große Rentenwelle 2022 richtig reinhaut und der Bedarf an jungen Menschen noch größer wird, wird es schwierig.

Lars: Die Work-Life-Balance, spielt in Zukunft eine immer größere Rolle. Das ergeben auch all meine Gespräche mit jungen Menschen. Das ist für die Arbeitgeber eine große Herausforderung, weil ich schon glaube, dass der Kampf um die besten Köpfe viel krasser geführt werden muss.

Anna: Zum Abschluss würde ich euch gerne nochmal das Wort geben und fragen, ob ihr jetzt trotz und mit allen Optionen unterm Strich optimistisch oder eher skeptisch in die Zukunft schaut.

Alice: Also ich bin eine optimistische Skeptikerin. Ich sehe die Vorteile und Chancen. Wir können sie unter der Bedingung, dass wir wachsam sind umsetzen und das wir nicht die Augen davor verschließen, dass auch neue Risiken entstehen werden, die wir vorher nicht hatten.

Lars: Da kann ich eigentlich nahtlos anknüpfen. Ich finde es spannend, was alles passiert. Wir alle haben uns gewünscht, das Corona nicht kommt, aber diese Zeit zeigt ja ganz viel, was an Umbrüchen schnell da ist und welche Lehren wir daraus ziehen und ziehen werden. Da wird noch ganz viel passieren. Ob die am Ende positiv oder negativ sind, das muss dann erkämpft werden. Ich hoffe einfach, dass die SPD und die Gewerkschaften stark genug sind, sich für die Interessen der vielen Millionen Menschen einsetzen zu können. Da ich ein optimistischer Mensch bin, kann das alles sehr gut werden.

Anna: Danke für Eure Zeit! Bei der „In die neue Zeit“-Online-Konferenz zum Thema Arbeitswelten werden wir die Diskussion noch weiter vertiefen. Bis dahin!

"In die neue Zeit"-Onlinekonferenz: Arbeitswelten