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Aktuelles

Foto: Sigmar Gabriel
dpa
03.01.2017

Zeit für mehr Sicherheit in Zeiten wachsender Unsicherheit

Sigmar Gabriel

Sicherheit ist ein ursozialdemokratisches Thema. Denn: Normale Menschen sind auf einen handlungsfähigen Staat angewiesen. Nur sehr Reiche können sich private Sicherheit kaufen. Natürlich kann der Staat keine absolute Sicherheit garantieren, aber er muss alles tun, um Unsicherheiten zu verringern.

In den Konzepten von CDU/CSU und der SPD gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede. CDU/CSU konzentrieren sich ausschließlich auf Gesetzesverschärfungen. Sozialdemokraten wissen: Erst im Zusammenspiel von Prävention, Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft und der Arbeit von Polizei, Staatsanwaltschaften und Justiz entsteht ein höheres Maß an Sicherheit.

Auch die SPD sieht gesetzlichen Handlungsbedarf, z.B. bei verstärkter Videoüberwachung öffentlicher Räume oder der Verhängung von Abschiebehaft für ausreisepflichtige Gefährder bis zu deren endgültiger Ausweisung. Wer sich aber nur auf die Gesetzesverschärfung konzentriert, wird die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger enttäuschen. Scheinlösungen wie Transitzonen im Kampf gegen islamistischen Terror müssen wir verhindern. Denn tatsächlich haben sich alle Täter des Jahres 2016 nach der Einreise radikalisiert und nicht vorher. Unser Problem besteht also im „home grown“ Terrorismus. Der aber ist mit Transitzonen nicht zu bekämpfen.

Ich weiß, dass schnell die Sorge auftaucht, solche Maßnahmen seien ein Weg in einen autoritären Staat, der am Ende die Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger beschneidet. Aber die Wahrheit ist: Unser demokratischer Rechtsstaat hat diese beschworenen Gefahren nie eintreten lassen. Auch nicht in der Phase harter staatlicher Maßnahmen im Kampf gegen die RAF. Der Grund ist so einfach wie beruhigend: Wir haben eine sehr funktionstüchtige Verfassungsgerichtsbarkeit und übrigens auch – anders als in der Weimarer Republik – eine wache Bürgergesellschaft und eine überzeugt demokratische Polizei und Justiz. Darauf darf man in der erwachsenen deutschen Demokratie durchaus vertrauen.

Zusammenfassung

  • Es gibt ein Grundrecht auf Sicherheit.
  • Sicherheit ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Durch die Attentate des Jahres 2016 ist es zu einem zentralen gesellschaftlichen Thema geworden.
  • Es geht nicht um „innere Sicherheit“, sondern um innere Freiheit. Sicherheit ist das Unterpfand der Freiheit. Unsicherheit produziert Unfreiheit.
  • Der Staat kann keine absolute Sicherheit garantieren, aber er muss alles tun, im Rahmen seiner Möglichkeiten Unsicherheiten soweit es geht zu verringern.
  • Sicherheit ist ein ursozialdemokratisches Thema. Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit können nur in einer friedfertigen und sicheren Gesellschaft entstehen.
  • Sicherheit zu gewährleisten, ist auch ein Verteilungsthema. Normale Menschen sind auf einen handlungsfähigen Staat angewiesen. Nur sehr reiche Menschen können sich einen schwachen Staat leisten und sich private Sicherheit kaufen.
  • Es gibt Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede in den Konzepten von CDU/CSU und der SPD. Zentraler Unterschied zur SPD ist, dass CDU/CSU sich ausschließlich auf Gesetzesverschärfungen konzentrieren.
  • Sozialdemokraten wissen: Erst im Zusammenspiel von Prävention, Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft und der Arbeit von Polizei, Staatsanwaltschaften und Justiz entsteht tatsächlich ein höheres Maß an Sicherheit.
  • Auch die SPD sieht gesetzlichen Handlungsbedarf, z.B. bei verstärkter Videoüberwachung öffentlicher Räume oder einer Verhängung von Abschiebehaft für ausreisepflichtige Gefährder bis zu deren endgültiger Ausreise. (Weitere Beispiele finden sich im Text.) Wer sich aber nur auf die Gesetzesverschärfung konzentriert, wird keinen Erfolg haben und die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger enttäuschen.
  • Vor allem müssen „Scheinlösungen“ verhindert werden, die den Eindruck des staatlichen Kontrollverlusts nur verstärken, wenn sich ihre Wirkungslosigkeit erweist. Dazu gehört die Forderung nach Einführung von Transitzonen im Kampf gegen islamistischen Terror. Denn tatsächlich haben sich alle Täter des Jahres 2016 deutlich nach der Einreise radikalisiert und nicht vor der Einreise. Unser Problem besteht also im „home grown“ Terrorismus. Der aber ist mit Transitzonen nicht zu bekämpfen.
  • Der Kampf gegen den islamistischen Terror hat nichts mit Religion zu tun. Es ist ein Kampf gegen die Feinde unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. So wie es in den 70er und 80er Jahren der Kampf gegen die RAF war.
  • Deshalb gehört beides zu diesem Kampf und schließt sich nicht aus: die Zusammenarbeit mit Moscheegemeinden im Rahmen der Präventionsarbeit und die Schließung radikal-islamistischer und salafistischer Moscheen, um Null-Toleranz gegen Hasspredigten durchzusetzen (Prävention und Repression).
  • Wir dürfen nicht nur den Kampf mit polizeilichen und nachrichtendienstlichen Mitteln gegen den islamistischen Terror aufnehmen, sondern auch den kulturellen.
  • Deshalb müssen wir der Propaganda und der Ideologisierung der islamistischen Kommunikationszentralen („Dschihad Valley“) endlich etwas entgegensetzen. So braucht es neben allen gesetzlichen Maßnahmen auch eine große deutsche und europäische Initiative zum Aufbau eines „Free Europe Network“, das in den sozialen Medien und Netzwerken gegen diese Propaganda arbeitet und die Informationen, die dort zu finden sind, umfassend nutzt.

I.

Nicht erst seit den islamistisch motivierten Attentaten des Jahres 2016 hat das Bedürfnis nach mehr öffentlicher Sicherheit zugenommen. Tageswohnungseinbrüche, Alltagskriminalität und extreme Beispiele von Gewalt im Alltag hatten schon zuvor in Teilen der deutschen Bevölkerung ein Gefühl der Unsicherheit wachsen lassen. In der politischen Diskussion blieb diese Entwicklung allerdings weitgehend ein Thema der Experten der Innenpolitik, die zudem häufig mit Statistiken auf den Unterschied zwischen objektiver Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitsgefühl hinwiesen. Sprich: Die Kriminalstatistik ergebe keine Grundlage für das steigende Gefühl persönlicher Unsicherheit. Letztlich steckt in dieser Reaktion auch der Vorwurf des „postfaktischen“. Aktuell erleben wir bei der Diskussion beispielsweise über die Ausweitung der Videoüberwachung in öffentlichen Räumen das Gleiche: Politologen und Datenschützer verweisen darauf, dass Videoüberwachungen keine „generalpräventive“ – also vorbeugende – Wirkung zur Verhinderung von Straftaten habe. Dies könne man statistisch belegen. Mal abgesehen davon, dass die Ausweitung der Videoüberwachung mindestens die Strafverfolgung deutlich erleichtern und damit bezogen auf die möglichen zukünftigen Straftaten der Täter natürlich eine „spezialpräventive Wirkung“ hat, weil sie im Zweifel im Gefängnis sitzen statt Messerstechereien anzuzetteln, dürfte diese „postfaktische“ Argumentation die verunsicherten Teile der Bevölkerung nicht überzeugen. Im Zweifel denken die, dass die Gegner der Videoüberwachung letztlich zu „denen da oben“ gehören, die keine Ahnung davon haben, wie sich Frauen auf öffentlichen Plätzen in Großstädten oder Rentner in der U-Bahn fühlen, weil sie in der Regel in anderen Stadtteilen wohnen oder nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.

Geradezu explodiert ist das Gefühl wachsender Unsicherheit und der Vorwurf des Kontrollverlusts des Staates im Bereich der öffentlichen Sicherheit mit den Terroranschlägen des Jahres 2015 und 2016. Die Attentate in Frankreich, Belgien und jetzt auch in Deutschland haben deshalb das Thema „Sicherheit“ ganz oben auf die politische Tagesordnung rücken lassen. Es ist unübersehbar, dass Sicherheit sich zu einem ganz zentralen Wertebegriff in Deutschland und Europa entwickelt hat. Mehr noch: Sicherheit – soziale, ökologische und öffentliche/innere Sicherheit – hat sich zu einem der zentralen Wertebegriffe demokratischer Gesellschaften entwickelt.

CDU und CSU reagieren klassisch mit Forderungen nach Verschärfungen der Gesetze. Und auch die Sozialdemokratie sucht nach Antworten auf diese Veränderung der Sicherheitslage in Deutschland. Sie hat Grund, das mit großem Selbstbewusstsein zu tun, denn ihr Kernanliegen einer sozial sicheren und gerechten Gesellschaft ist ohne die Sicherheit der Menschen vor Kriminalität und Gewalt nicht zu erreichen. Vor allem die ganz normale Bürgerschaft unseres Landes ist auf einen auch in der inneren und öffentlichen Sicherheit handlungsfähigen Staat angewiesen. Nicht nur in der sozialen Sicherheit, in der Bildungspolitik oder im Wohnungsbau gilt: Nur sehr reiche Menschen können sich einen schwachen Staat leisten. Sie ziehen sich in „gated communities“ zurück, wie sie in den Vereinigten Staaten bereits existieren, und finanzieren ihre Sicherheitsdienste ebenso privat wie die Schulen ihrer Kinder, die medizinische Versorgung oder großzügige Villen. Normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in allen diesen Lebensbereichen auf einen handlungsfähigen Staat angewiesen. Ohne Sicherheit für Leib und Leben und auch für das hart erarbeitete Eigentum ist alles andere nichts. Soziale Sicherheit und eine friedliche, freiheitliche und sichere Gesellschaft bedingen einander.

Es gibt also durchaus ein „Bürgerrecht auf Sicherheit“. Es stimmt zwar, dass unsere Verfassung kein vor dem Bundesverfassungsgericht einklagbares individuelles Grundrecht auf persönliche Sicherheit gibt, denn es ist schlechterdings unmöglich, dafür einen allgemein gültigen Maßstab für das staatliche Handeln zu setzen. Aber die Grundrechte unserer Verfassung konstituieren trotzdem dieses Bürgerrecht auf Sicherheit, nämlich, dass der Staat - im Rahmen seiner rechtsstaatlichen Möglichkeiten soweit es ihm möglich ist - zu gewährleisten hat: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2, das Verbot zur Gründung von Vereinigungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die Völkerverständigung in Artikel 9 oder der Eigentumsschutz in Artikel 14. Vor allem aber der wichtigste Artikel unserer freiheitlichen Verfassung, der Artikel 1, beinhaltet auch den Schutz vor Gewalt und Kriminalität. Denn er schützt die Würde des Menschen. Sie ist unantastbar. Und Gewalt wie in der Silvesternacht 2015/2016 ist gewiss auch ein Angriff auf die Würde der betroffenen Frauen gewesen.

Sicherheit – egal ob es sich um soziale oder öffentliche und innere Sicherheit handelt – ist das Unterpfand der Freiheit. Deshalb sichern die staatlichen Einrichtungen wie die Polizei, die Staatsanwaltschaften und die Gerichte unseres Landes die Freiheit jedes Einzelnen in unserem Land. Alle Maßnahmen der inneren Sicherheit müssen sich deshalb am Schutz der Freiheit legitimieren. Sie sind Instrument und nicht Ziel.

Die öffentliche Sicherheit und innere Friedfertigkeit unseres Landes ist also ein ursozialdemokratisches Thema. Und es gibt in unserem Verständnis wie das erreicht werden kann, Gemeinsamkeiten, aber auch sehr große Unterschiede zu den Antworten der konservativen Parteien CDU und CSU. Die öffentliche Diskussion darüber lohnt sich, weil sie am Ende eine Diskussion über den Zustand und die Zukunft unserer Gesellschaft bedeutet. Daran können sich Menschen in unserem Land orientieren.

II.

Da innere und öffentliche Sicherheit in großem Umfang Länderaufgabe ist und die SPD in der Mehrzahl der Bundesländer die Regierungen anführt oder an ihnen beteiligt ist, kommt ihr auch eine große Verantwortung zu. Zwei Gefahren lauern dabei in der politischen Debatte. Die eine Gefahr besteht in eingeübten Reflexen: Auf die Ausweitung der staatlichen Befugnisse zur Datenerhebung, Überwachung, die Verschärfung von Strafrechtsnormen oder des Ausländergesetzes reagiert die SPD traditionell mit Ablehnung. Denn die Sozialdemokratie treibt die Sorge um, dass diese Stärkung des Staates mit der Einschränkung von Bürgerrechten und Möglichkeiten des staatlichen Machtmissbrauchs einhergehen könnte. Die zweite Gefahr ist die reflexhafte Abwehr einer sicherheitspolitischen Diskussion, weil sie in den sozialdemokratisch geführten Bundesländern von der konservativen Opposition genutzt werden könnte, den SPD-Innenministern „Versagen“ vorzuwerfen.

Diesen Fallen entgeht die SPD am besten dadurch, dass sie selbst eine aufgeklärte Diskussion um die Aufgaben in der inneren Sicherheit führt und diese Diskussion einerseits an den eigenen Werten und den Anforderungen unserer Verfassung orientiert, andererseits die debattierten Instrumente nicht auf die Frage untersucht, wer sie gemacht hat, sondern ob und wie weit sie wirksam sind. Denn eine weitere Falle lauert auch für alle Demokraten – egal ob von links oder rechts: enttäuschte Hoffnungen. Denn, wenn sich die gemachten Vorschläge zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit als nicht oder nicht ausreichend wirksam zeigen, dann steigert das nur den Eindruck des Kontrollverlusts der Politik.

Ein „schönes Beispiel“ für diese Falle ist die aktuelle Reaktion der CSU auf das Berliner Weihnachtsmarkt-Attentat. Wie ein pawlowscher Reflex erschallte der Ruf nach sogenannten Transitzonen, in denen alle ankommenden Flüchtlinge zuerst festzuhalten seien, um sie auf ihre potentielle Terrorgefährlichkeit zu prüfen und ggf. nicht ins Land zu lassen. Ein Blick auf die Attentate 2016 in Deutschland zeigt, wie trügerisch diese Hoffnung ist und wie groß die Enttäuschung sein würde, sollte sich eine Bundesregierung auf diesen Vorschlag einlassen: Beginnend mit dem Messerangriff einer 15-Jährigen auf einen Polizisten am 26. Februar 2016 in Hannover, über die beiden Angriffe von Flüchtlingen am 18.7.2016 in Würzburg, am 24.7.2016 in Ansbach, bis zum geplanten Bombenanschlag auf den Berliner Flughafen, bei dem der Täter rechtzeitig am 9.10.2016 festgenommen werden konnte, handelt es sich immer um „home grown“ Terroristen. Sie haben sich erst nach der Einreise nach Europa oder Deutschland radikalisiert. Gleiches scheint auch für den tunesischen Attentäter vom 19.12.2016 in Berlin zu gelten. Und rund 50 Prozent der sogenannten „Gefährder“ haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Das gilt insbesondere für diejenigen, die als Unterstützer der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ aus Deutschland ausgereist sind, um sich am bewaffneten Kampf in Syrien zu beteiligen. Wenn sie zurückkehren, bringen ausländerrechtliche Maßnahmen erst recht nichts. Und auch ein Blick auf die Attentäter in Frankreich und Belgien zeigt noch viel klarer: Der „home grown“ Terrorismus ist unser größtes Problem. Das soll nicht heißen, dass wir keine Grenzkontrollen brauchen. Die unkontrollierte Zuwanderung des Jahres 2015 darf sich nicht wiederholen, denn unsere Hilfe muss denjenigen gelten, die aus Gründen der Verfolgung, des Kriegs und Bürgerkriegs Schutz benötigen. Alle anderen sollten sinnvoller Weise erst gar nicht einreisen. Das aber hat mit einer wirksamen Terrorismusbekämpfung nichts zu tun. Mit Prüfungen in Transitzonen werden wir gar nichts erreichen. Sie sind in Europa gedacht zur Kanalisierung von Flüchtlingsströmen und zur schnelleren Bearbeitung von Asylanträgen. Sie sind untauglich, mehr Sicherheit und Schutz vor Terror in Deutschland zu erzeugen.

III.

Am Anfang einer aufgeklärten Debatte muss das Bekenntnis stehen, dass die zentrale Aufgabe der Sicherheitsarchitektur des Staates „nur“ darin bestehen kann, Unsicherheiten zu reduzieren. Absolute Sicherheit, totalen Schutz gegen Anschläge gibt es in offenen Demokratien nicht.

Mindestens so wichtig ist es deshalb, die innere Stabilität unserer Gesellschaft zu stärken, damit sie sich auch durch eine wachsende Bedrohungslage nicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Gute und lebendige Städte und Gemeinden schaffen, Beschäftigung sichern, Kultur fördern, soziale Sicherheit gewährleisten, in Bildung investieren: All das ist mindestens so wichtig wie die Verbesserung der Sicherheitsarchitektur. Bereits dieses Verständnis dürfte einen Unterschied zwischen den konservativen und den sozialdemokratischen Sicherheitskonzepten markieren – schon weil für die Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft auch Finanzmittel mobilisiert werden müssen und genau das durch CDU und CSU verweigert wird.

Und auch die Aufgabe der Prävention fehlt in der Sicherheitsdebatte von rechts völlig. Sie ist aber nicht nur im Bereich der klassischen Kriminalitätsbekämpfung – z.B. in der Jugendkriminalität – von enormer Bedeutung, sondern sie muss auch viel größere Beachtung im Kampf gegen den Terrorismus erhalten. Jugend- und Sozialarbeit in Flüchtlingsunterkünften darf nicht in so homöopathischen Dosen stattfinden wie zur Zeit. Die erfolgreiche kommunale Präventionsarbeit muss auf die Moscheegemeinden ausgeweitet werden. Und warum setzen wir dem „Dschihad Valley“, einem Zentrum der internationalen Kommunikation und Propaganda des islamistischen Terrors, keine große Aufklärungs- und Informationskampagne entgegen. Im Kalten Krieg finanzierte der amerikanische Geheimdienst „Radio free Europe“ als Propagandazentrale gegen den kommunistischen Osten. Es wäre an der Zeit, ein großes, finanziell und personell starkes, demokratisch kontrolliertes „Free Europe Network“ zu schaffen, um auch kulturell und intellektuell den Kampf gegen den islamistischen Terror aufzunehmen. Das sind nur wenige Beispiele, die zeigen, dass wir die aktuelle Debatte über die repressiven Zuständigkeiten des Staates um die präventiven ergänzen müssen. Nicht als „entweder-oder-Diskussion“, sondern als „sowohl-als-auch“. Oder wie es der frühere britische Labour-Premierminister Tony Blair formulierte: „Tough on crime and tough on the causes of crime“.

Wenn wir beides wollen – Kampf gegen Gewalt und Terror und Vorbeugung sowie Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft – dann müssen wir aber auch beides voran bringen. Also auch die Handlungsfähigkeit des Staates gegen Gewalttäter und Terroristen. Also wird es angesichts einer völlig veränderten Bedrohungslage auch um die Verbesserung dieser Handlungsfähigkeit gehen. Das darf auch in der sozialdemokratischen Debatte nicht untergehen. Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaft der Polizei haben dazu richtige Vorschläge gemacht:

  • Die Vereinheitlichung aller Datensysteme der Sicherheitsbehörden von Bund, Ländern und Kommunen;
  • eine neue Definition der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz, bei dem der sogenannte „Quellenschutz“ des Verfassungsschutzes keine höhere Bedeutung als der Informationsfluss zur Polizei für die Gefahrenabwehr haben darf;
  • eine Reform des Datenschutzes, damit z.B. die Polizei zur Gefahrenabwehr Lichtbilder aus den Einwohnermeldeämtern schnell und unkompliziert nutzen darf;
  • eine bessere Videoüberwachung öffentlicher Plätze, denn es ist für niemanden nachvollziehbar, dass dies im privatwirtschaftlichen Bereich in Kaufhäusern und Tankstellen jederzeit möglich ist, Polizeibehörden aber erhebliche Schwierigkeiten haben, entsprechende Maßnahmen im öffentlichen Raum umzusetzen;
  • schlicht mehr Personal für die Polizei, damit sie nicht nur spezialisiert und damit meist unsichtbar arbeitet, sondern mehr öffentliche Präsenz zeigen kann, z.B. auch wieder überall mit Kontaktbereichsbeamten in den Wohnquartieren;
  • spezialisierte Dienststellen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, z.B. Jugendkommissariate und Jugend-Cops;
  • ein „Haus des Jugendrechts“ unter einem Dach, in dem Justiz, Jugendgerichtshilfen und Jugendämter zusammenarbeiten – auch mit der Polizei.

Und auch die elektronische Fußfessel zur besseren Führungsaufsicht für bereits verurteilte Straftäter und die Vereinfachung der bereits heute bis zu 18 Monaten möglichen Abschiebehaft für nicht in Deutschland aufenthaltsberechtigte „Gefährder“ gehören in diese sicherheitspolitische Debatte.

Ich weiß, dass im „linken“ Spektrum der Politik schnell die Sorge auftaucht, alle diese Maßnahmen seien ein Weg in einen autoritären Staat, der am Ende die Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger beschneidet. Seit der Debatte um die Notstandsgesetze gibt es diese Angst. Abgesehen davon, dass diese Vorschläge von einer aufgeklärten DGB-Gewerkschaft wie der GdP vertreten werden, die wahrlich nicht im Verdacht steht, einer überbordenden Sicherheitspolitik das Wort zu reden oder die Freiheitsrechte gering zu schätzen, ist die Wahrheit auch: Unser demokratischer Rechtsstaat hat alle diese beschworenen Gefahren nie eintreten lassen. Weder in den 60er Jahren noch in den 70er und 80er Jahren in der Phase harter staatlicher Maßnahmen im Kampf gegen die RAF. Der Grund ist so einfach wie beruhigend: Wir haben eine sehr funktionstüchtige Verfassungsgerichtsbarkeit und übrigens auch – anders als in der Weimarer Republik – eine wache Bürgergesellschaft und eine überzeugt demokratische Polizei und Justiz. Darauf darf man in der erwachsenen deutschen Demokratie durchaus vertrauen.

IV.

Kommunale Präventionsarbeit mit Moscheen und die Schließung salafistischer Moscheen sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten der gleichen Medaille. Mehr noch: Sie sind nur zusammen glaubwürdig. Denn der Kampf gegen islamistischen Terror hat letztlich nichts mit Religionsfreiheit zu tun. Sondern es geht um die Bekämpfung einer Ideologie, die die westliche Zivilisation, Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung zum Feind erklärt hat. Wir haben uns beim Kampf gegen den Terror der RAF auch nicht auf deren vorgebliche Begründungen für ihr Handeln eingelassen, sondern die Täter als das behandelt, was sie waren: Menschen, die zu Gewalt und Mord bereit waren und unsere demokratische Verfassung aus den Angeln heben wollten.

Es geht beim Kampf gegen Gewalt und Terror nicht um Religionszugehörigkeiten. Sondern um die Verteidigung unserer Idee vom Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Und darüber, was in diesem Land geht und was nicht. Keine Toleranz mit dem „Gefährder“ der Sicherheit ist ein berechtigter Wunsch der Bedrohten. Und was die ideologischen Lehrer der „home grown" Terroristen in den salafistischen Moscheen angeht, so muss in Zukunft ebenso Null Toleranz herrschen. Oder um es einfacher auszudrücken: Den Predigern und ihren Vereinen muss klar sein: „Tust du das, passiert folgendes. Und tust Du das nicht, passiert folgendes nicht.“

V.

Präventionsarbeit, Bekämpfung der Ursachen von Kriminalität und Gewalt und Investitionen in die Stabilität unserer Gesellschaft zusammen zu bringen mit der notwendigen Autorität und Fähigkeit des Staates, die öffentliche Sicherheit - soweit es einem demokratischen Rechtsstaat möglich ist - zu gewährleisten, das ist sozialdemokratische Sicherheitspolitik. Und das markiert einen deutlichen Unterschied zu der sehr eingeschränkten Sicherheitsdebatte der konservativen Parteien in Deutschland und Europa.

Das hat übrigens einen sehr tiefen weltanschaulichen Grund: Der Unterschied zwischen einem „rechten“ und einem „linken“ Sicherheitsverständnis gründet auf zwei sehr unterschiedlichen Menschenbildern. Es ist erstaunlich, wie tief die unterschiedlichen Menschenbilder der beginnenden Aufklärung bis heute in den politischen Parteien ihre Wurzeln geschlagen haben. Das konservative und autoritäre Menschenbild basiert letztlich auf der Vorstellung Thomas Hobbes (1588-1679), bei dem die Menschen grundsätzlich einander „Wölfe“ sind. Der Staat – der Leviathan – bändigt diese sich feindlich gegenüber stehenden Wölfe, im der er ihnen mit seinem Gewaltmonopol droht. Das linke Menschenbild orientiert sich an John Locke (1632-1704) und Jean-Jacques Rousseau (1712-1778): Menschen stehen einander im Prinzip freundlich gegenüber - aber nicht alle und nicht immer. Denn es gibt eben auch feindselige und asoziale Potenziale im Menschen, die letztlich durch den Zustand einer Gesellschaft entstehen. Deshalb kommt es darauf an, die politische, ökonomische und soziale Ordnung so zu gestalten, dass Freundlichkeit (vor allem durch Gerechtigkeit, weil dann keiner Angst hat, zu kurz zu kommen) mehr gefördert wird als das Wölfische (in der Konkurrenzgesellschaft oder im Sozialdarwinismus). Dann bedrohen die Menschen einander nicht (bzw. weniger). Am sichersten sind wir, wenn die Anderen unserer Sicherheit zustimmen, sie selbst wollen. Diese Möglichkeit ist bei Hobbes prinzipiell nicht gegeben. Deshalb tendiert das rechte Sicherheitsverständnis immer zum Ausschluss des Täters, nicht zur Resozialisierung (oder zur Aufrüstungsspirale). Das Übel muss weg – abgeschoben, ausgeschaltet, vernichtet oder jedenfalls weggesperrt werden. Da das letztlich als alleinige und vorherrschende Strategie nicht gelingt (siehe die amerikanische Gesellschaft, die durch das viele Wegsperren in Gefängnisse nicht sicherer wird), wird die Welt umso unsicherer, je mehr ein rechtes Sicherheitsverständnis politisch vorherrscht bzw. sich durchsetzt. Hier wird Sicherheit von Gerechtigkeit und Solidarität getrennt, während sie bei der Linken am besten durch Gerechtigkeit und einen handlungsfähigen Staat erreicht wird. Beide Traditionen übrigens sehen zur Legitimation der staatlichen Machtausübung Gesellschaftsverträge, also Verfassungen, vor. Nicht zuletzt deshalb konnten sich trotz aller Unterschiede in der Ideengeschichte ihrer politischen Konzeptionen Konservative und Linke immer auf gemeinsame Normen und Regeln verständigen.

Und ganz zum Schluss gilt für die SPD noch ein besonderer historischer Auftrag: Sozialdemokraten haben nie irgendeine Rechtfertigung für Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen akzeptiert. Sie haben es immer bekämpft. Weil sie wussten, dass es immer um die Freiheit für alle geht. Dafür wurden sie bekämpft. Von Faschisten wie Stalinisten. In der Bundesrepublik hat das eindrucksvoll Helmut Schmidt im kompromisslosen Kampf gegen die RAF gezeigt. Jetzt stellen wir uns wieder diesem Kampf, um das Recht frei von Angst und Gewalt in einer friedfertigen und freundlichen Gesellschaft zu leben.

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