Lieber Gerd,
es ist nach deiner Rede nicht ganz leicht, zur üblichen Parteitagsdramaturgie zurückzufinden. So bewegend deine Worte, so groß die Figuren, an die du erinnert hast. So groß, dass alles andere klein wirkt in unserem täglichen Bemühen. Deshalb will ich dir ausdrücklich Dank sagen dafür, dass du uns nicht nur erinnert hast an großes sozialdemokratisches Erbe, sondern auch dafür, dass du uns Maßstäbe aufgezeigt hast, an denen wir uns messen müssen. Das heißt: nicht zu bescheiden sein in unseren Zielen, nicht hadernd mit den Hindernissen, nicht jammernd über Gegenwind, sondern beharrlich und mit Ausdauer auf das Ziel hinarbeiten! Dafür standen in der Geschichte der Bundesrepublik zwei große sozialdemokratische Kanzler, von denen du einen hier gewürdigt hast. Ein dritter gehört in diese Reihe. Lieber Gerd, danke, dass du hier bist – hier gehörst du hin!
Lieber Sigmar,
liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freunde,
vor sage und schreibe 60 Jahren trat Egon Bahr in die SPD ein. Und schon damals -so ist das ja auch heute, wenn einer auf die verrückte Idee kommt, in die SPD einzutreten-, haben ihn seine Freunde mit großen Augen angeguckt und gefragt: ‚Warum das denn?‘
Wisst Ihr, was Egon geantwortet hat? „Ich will nicht die Welt verbessern. Ich will auch nicht die Banken verstaatlichen. Ich will, dass der Friede bleibt!“
Dass der Friede bleibt - 1956, zehn Jahre nach dem Ende der Weltkriegskatastrophe.
Diesen Sommer, liebe Freunde, wenige Wochen vor seinem Tod, saßen wir beide zum letzten Mal in meinem Büro zusammen. Und es gab das übliche Ritual: „Darf man bei dir rauchen?“ – „Ja.“ Dann kam der Aschenbecher. Dann fingert er die Schachtel Marlboro aus der Tasche, zieht eine Kippe raus, bietet sie an. Daraufhin ich -wie immer-: „Egon, du weißt, es hat Mühe gekostet. Ich bin jetzt Nichtraucher.“ Egon: „Kannste ja auch bleiben. Aber nimm eine. Es redet sich dann besser.“ Dann, liebe Freunde, bei diesem letzten Gespräch durch den Zigarettenqualm hindurch, sagt er zu mir: „In diesen ganzen sechs Jahrzehnten war der Auftrag an die Sozialdemokratie, für den ich damals eingetreten bin, niemals so ernst und niemals so dringlich wie heute.“ Dass der Friede bleibt!
Und Egon hat recht: Ukraine, Russland, IS-Terror, Syrien, Irak, Libyen. So viele Menschen weltweit auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Krisen überschlagen sich geradezu, und es kommt uns doch vor, als ob die Krise nicht mehr Ausnahme sondern der neue Normalzustand ist. Und die Krisen rücken ja nicht nur näher an uns heran, sondern sie sind längst angekommen: in unseren Turnhallen, in unseren Schulen, überall dort, wo Menschen Zuflucht suchen vor Chaos und Gewalt.
Liebe Genossinnen und Genossen, gerade in so einer Zeit bin ich heilfroh, dass wir als Sozialdemokraten uns nicht wegducken. Dass nicht Abenteurer und Wolkenschieber die deutsche Außenpolitik bestimmen, sondern dass wir Regierungsverantwortung übernommen haben und dass wir das große friedenspolitische Erbe dieser Partei annehmen und fortschreiben in einer stürmischen Zeit!
Verantwortung zu tragen in schwieriger Zeit, das ist eine Last. Aber ich frage euch: Wer könnte sie besser tragen als eine Partei, die seit 150 Jahren steht für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt? Ich bin froh, liebe Freunde, und ich bin stolz darauf, dass wir in diesen Zeiten diese Last tragen!
Ja, es sind ernste Zeiten. Zeiten, in denen es keine einfachen Antworten gibt. Zeiten, in denen gewohnte Freund-Feind-Kategorien in Zweifel geraten, vertraute Erklärungsmuster für Schuld und Verantwortung ins Wanken geraten. Die Konflikte, mit denen wir zu tun haben, sind zu komplex, die Gräben zu tief, die Grenzen zu fließend für das Schwarz und Weiß, das Gut und Böse in den ganz schlichten Antworten, nach denen viele sich sehnen. Ob Ukraine, ob Syrien, ob Irak, selten wählen wir zwischen der nur richtigen und der nur falschen Antwort. Häufiger ist die Wahl begrenzt auf Antworten, die alle von Zweifeln begleitet sind, entweder was die Wahl der Mittel angeht oder was die Wahl der Bündnispartner angeht. Das quält mich manchmal nicht weniger als euch.
Ich weiß nur eines: Die Konflikte, um die es geht, sind real! Die Gefahren, die daraus erwachsen, auch. Und die gehen nicht weg, indem wir sie als SPD ignorieren. Deshalb: Zu dem großen Erbe sozialdemokratischer Außenpolitik gehört auch, dass wir uns nicht verstecken, dass wir, nur weil die Entscheidungen schwierig sind, einfach dichtmachen und beschließen: Raushalten ist die beste Alternative. Lasst die anderen machen, und wir benoten anschließend, was richtig und was falsch war.
Liebe Genossinnen und Genossen, in einer solchen Welt Schwarz-Weiß-Antworten zu widerstehen, das braucht Erfahrung, das Ideen – aber das braucht vor allem Mut!
Und ich frage euch: Wer hat diesen Mut in der deutschen Politik? Wer macht sich die Antworten nie zu einfach? Das ist nur die deutsche Sozialdemokratie, liebe Genossinnen und Genossen!
Wer hatte den Mut und die Vision vor fast 100 Jahren, als dieser Kontinent noch in den Trümmern des Ersten Weltkrieges lag, zum ersten Mal die „Vereinigten Staaten von Europa“ zu fordern? Wer zog damit den Hass der Braunhemden auf sich, die Europa in den Abgrund reißen sollten?
Das waren Rudolf Breitscheid, Philipp Scheidemann und Hermann Müller. Das war deutsche Sozialdemokratie!
Und wer hatte den Mut, später, als die Gräben des Kalten Krieges am tiefsten waren, gegen allen Widerstand eine Brücke des Dialoges in Richtung Russland zu bauen, die Brücke der Neuen Ostpolitik, die am Ende eine Brücke war zur deutschen Wiedervereinigung?
Das war Willy Brandt, das war Egon Bahr. Das war deutsche Sozialdemokratie!
Wer hatte den Mut, als ein brutaler Terror in Deutschland um sich griff, diesem Terror zu widerstehen, damit unsere offene Gesellschaft eine offene Gesellschaft bleiben konnte?
Das war Helmut Schmidt. Das war deutsche Sozialdemokratie!
Und wer hatte den Mut, unserem wiedervereinigten Land nach 1990 zu sagen, dass es außenpolitisch erwachsen geworden ist? Wer hat es hineingeführt in internationale Verantwortung, mit schwierigen Entscheidungen zum Balkan und zu Afghanistan? Aber wer hatte auch den Mut, Nein zu sagen zu einem verheerenden Krieg im Irak?
Das war Gerhard Schröder. Und das war deutsche Sozialdemokratie!
Liebe Genossinnen und Genossen, schaut auf die stolzen Traditionslinien der Sozialdemokratie: Dieser Mut hat deutsche Außenpolitik geprägt, und wir brauchen ihn heute umso mehr.
Wir brauchen den Mut, lieber Martin Schulz, zu mehr Europa und nicht zu weniger Europa! Wir brauchen den Mut, den Rechtspopulisten etwas entgegenzusetzen, denen, die Zwietracht säen wollen in Europa! Und wir brauchen den Mut, jetzt in der Flüchtlingskrise zu sagen: Entweder Europa steht zusammen und handelt solidarisch in Zeiten der Not von Hunderttausenden - oder es werden wieder Zäune gebaut und Schlagbäume errichtet, und dann bröckelt die Vision vom vereinten Europa, für die Scheidemann im Exil geblieben und Breitscheid in Buchenwald gestorben ist!
Wir brauchen den Mut von Willy und Egon - den Mut zu Dialog und Zusammenarbeit über politische Gräben hinweg. Diesen Mut brauchen wir heute, wo wir uns entschlossen haben, im nächsten Jahr den Vorsitz der OSZE zu übernehmen. Gerade heute, in angespannten Zeiten, halten wir fest am Weg der Diplomatie, am Weg des Dialogs! Wir halten auch fest am Weg von Minsk - auch wenn er mühsam ist – und wir werden mehrDialog mit Russland führen und nicht weniger!
Wir brauchen auch den Mut Helmut Schmidts und den Mut Gerhard Schröders, uns nicht einfach rauszuhalten, wenn es schwierig wird! Dazu gehört auch, zu sagen, auch für die SPD, dass man mit Selbstmordkommandos keine Friedensgespräche führen kann. Aber es braucht genauso den Mut, liebe Freunde, zu sagen, dass man die Wurzeln des Terrors nie wird ausheben können ohne politische Lösungen im Mittleren Osten. Wir sind es doch, die immer und immer wieder dafür streiten - auch jetzt in Syrien -, dass Politik und Diplomatie den Ton angeben und nicht die Logik der militärischen Eskalation, liebe Freunde. Das sind doch wir!
Liebe Freunde, dies sind Zeiten, in denen sich die Welt verändert. Und solche Zeiten sind Zeiten für die Sozialdemokraten! Denn die SPD war vom ersten Tag an und sie ist bis heute: die Partei des Internationalismus in Deutschland!
„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“, hat Willy Brandt gesagt. Eine unfriedlich gewordene Welt ein Stück friedlicher zu machen, das ist unser historischer Auftrag. Für den ich arbeiten will, gemeinsam mit euch!
Der 13. November, fast ein sonniger Spätsommertag, sollte eigentlich ein schöner Tag werden. Ein Tag der Dankbarkeit. Ich bin mit acht deutschen Orden im Gepäck in die französische Hauptstadt geflogen, um Bürgermeister, Polizeiführer, Leiter von Hilfsorganisationen und deren Helfer zu ehren, die nach dem Germanwings-Absturz in den französischen Seealpen im Einsatz waren und in menschlichen Grenzsituationen wirklich Unbeschreibliches geleistet haben. Da wir nicht alle 1.200 Eingeladenen mit einem Bundesverdienstkreuz ausstatten konnten, habe ich es für eine gute Idee gehalten, die Helfer einzuladen ins Stade de France, um gemeinsam mit den Angehörigen der Absturzopfer ein Freundschaftsspiel zwischen den Nationalmannschaften zu feiern.
Dann, mitten im Spiel, erst eine, dann eine zweite Detonation. Ich saß neben Präsident Hollande, und wir glaubten wie all die anderen 70.000 im Stadion: Das sind Böller, das ist Feuerwerk; das sind Fußballfans, die sich nicht benehmen können.
Nein, waren sie nicht. Aus dem Tag der deutsch-französischen Freundschaft, aus einem fröhlichen Fußballabend, wurde eine Nacht des Schreckens. Ihr alle habt es miterlebt an den Bildschirmen - fassungslos, verzweifelt, voller Entsetzen und voller Wut wie ich auch.
Das ist der eine Teil der traurigen Wahrheit, den ich erzählen will. Aber es gibt auch einen anderen Teil: Noch in derselben Nacht, mitten in dem Chaos und der Angst in Paris, haben wir Menschen erlebt, in Paris und in ganz Frankreich, die gegen die Angst, gegen die Verzweiflung und gegen die Wut trotzig die Marseillaise gesungen haben. Und wir Deutschen haben eingestimmt und mitgesungen. „Ihr seid nicht allein“, das war unsere Botschaft in dieser Nacht. Wir lassen euch nicht allein, auch jetzt nicht, drei Wochen nach dem Attentat. Solidarität, die wir versichert haben, ist nicht einfach dahingesagt. Wir wollen sie leben im eigenen Land, aber auch gegenüber den schrecklich getroffenen Nachbarn. Dazu stehen wir gemeinsam, liebe Genossinnen und Genossen!
Mich hat noch etwas anderes beeindruckt: eine Botschaft auf Facebook; vielleicht hat sie der eine oder andere gesehen. Ein junger Ehemann und Vater hat seine Frau bei dem Attentat verloren. Im Internet schreibt er an die Mörder: „Ihr bekommt meinen Hass nicht.“ Er schaut dabei auf seinen Sohn, 17 Monate alt, und schreibt weiter: „Sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen, indem er glücklich und frei ist. Denn nein, auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen.“ Das sagt dieser Mann in der bittersten Stunde seines Lebens, und er hat so recht! Hass wird uns auf der Suche nach den Ursachen für Terrorismus nicht helfen, und schon gar nicht darf er unser politischer Ratgeber nach den Attentaten sein! Was wir auch nicht brauchen, ist die Suche nach Sündenböcken, die manche, auch hier in Deutschland, im Islam ganz allgemein oder bei den ankommenden Flüchtlingen suchen wollen. Um es ganz klar zu sagen: Wer so redet, wer da Sündenböcke sucht, der missbraucht eine notwendige Debatte, die wir in Deutschland brauchen. Es ist einfach schäbig, die Attentate und die Opfer dafür zu nutzen!
Aber ich befürchte, die Bedrohung, von der wir reden, ist breiter. Der Terror des IS richtet sich gegen die offene Gesellschaft und gegen alle, die in Freiheit leben wollen - ob in Tunis oder in Beirut oder in Paris oder bei uns in Deutschland. Der Terror richtet sich gegen Christen und Atheisten, gegen Juden und Muslime. Dieser Terror ist allumfassend und fanatisch. Unsere Antwort aber – sie muss umfassend und vernünftig sein.
Und vernünftig sein, heißt zu wissen, dass keiner der aktuellen Konflikte, ob in der Ukraine, in Syrien oder in Libyen, am Ende militärisch gelöst wird; zu wissen, dass nirgendwo auf der Welt allein durch militärischen Einsatz Terrorismus jemals besiegt worden ist.
Weil wir das wissen, haben wir unsere ganze Kraft da hineingelegt, nach den Anfängen für eine politische Lösung in Syrien zu suchen, und das war schwierig genug. Ihr habt gesehen, wie viele Reisen, wie viele Gespräche notwendig waren, nach Washington, nach Moskau, aber vor allen Dingen nach Teheran und nach Riad. Jetzt ist das zustande gekommen, was sich eigentlich niemand vorstellen konnte: Dass in Wien tatsächlich alle an einem Tisch sitzen, die am Tisch sitzen müssen: Europäer, Russen, Amerikaner und alle wichtigen Akteure aus der Region: Iran, Saudi-Arabien und die Türkei.
Natürlich ist die Hoch-Spannung zwischen manchen dieser Partner nicht weg, aber es kommt darauf an, dass sich diese Spannungen am Verhandlungstisch entladen und nicht in viel schlimmeren Kurzschlüssen. Zum ersten Mal gibt es so etwas wie eine Road-Map hin zu einer politischen Lösung im Syrien-Krieg. Zum ersten Mal nach fünf Jahren, nach 300.000 Toten, nach 12 Millionen Menschen, die Haus und Hof verloren haben, zum ersten Mal wird der erste Schimmer einer politischen Lösung am Horizont sichtbar.
Ich selbst war lange vor dem Krieg 2006 und 2007 häufig in Syrien und habe zu überzeugen versucht, dass die Einordnung Syriens auf der Achse des Bösen falsch ist. Dass man Syrien nicht in die Arme des Mullah-Regimes im Iran treiben sollte und dass Isolation von Assad die falsche Politik ist. Niemand hat das damals hören wollen. Zu verführerisch waren die einfachen Zuschreibungen von Gut und Böse. Aber heute, nach fünf Jahren Krieg und Tausenden von Fassbomben, muss man sich dann auch noch die vorwurfsvolle Frage gefallen lassen: Warum redet denn eigentlich niemand mit Assad? Das ärgert mich!
Wir sind in vielem zu spät in Syrien. Aber es ist nicht zu spät für eine Umkehr. Im nächsten Schritt wird nicht der große Friede ausbrechen, aber vielleicht gibt es den Weg zur Entschärfung des Konflikts. Der Weg ist kompliziert. Zu unterschiedlich sind die Positionen, zu unterschiedlich die Auffassung der Beteiligten, was aus Assad werden soll. Wie kompliziert das wirklich ist, das hat mir neulich ein Angehöriger der syrischen Opposition ganz deutlich erklärt. Er hat einfach gesagt: „Weißt du: Ohne Assad wird es keinen Waffenstillstand in Syrien geben. Mit Assad wird es keine Zukunft geben für Syrien.“ Das ist doch das Dilemma, in dem nicht nur die Opposition in Syrien steckt, sondern alle, die wir international diesem Land wieder eine Zukunft geben wollen. Aber die Schwierigkeit lässt uns nicht aufgeben – sondern sie muss uns mehr Ehrgeiz abverlangen!
Ich glaube, dass es klug war, die Zukunft Assad jetzt gerade nicht in den Vordergrund der Beratungen zu stellen, sie zurückzustellen und in der Debatte mit den Fragen zu beginnen, über die wir doch einig sind am Wiener Tisch: Dass der Kampf jeder gegen jeden in Syrien beendet werden muss, dass der Weg zu einem Waffenstillstand gesucht werden muss, dass der Aufbau einer Übergangsregierung jetzt eingeleitet werden muss und dass innerhalb der nächsten 18 Monate in Syrien Wahlen stattfinden sollen.
Wahlen: Wer die Bilder von Syrien heute sieht, der muss Zweifel haben. Was da vereinbart worden ist in Wien zwischen den ungleichen Partnern klingt wie eine Utopie. Und richtig ist: Wer den Mittleren Osten kennt und wer auf Syrien schaut, der findet keinen Anlass für Optimismus. Aber der, der sich vor acht Wochen noch nicht vorstellen konnte, dass Russland, Amerika, Iran und Saudi-Arabien gemeinsam wegen Syrien durch dieselbe Tür, in den selben Raum, an den selben Tisch gehen und über dasselbe Thema reden – für den ist das, was in den zwei Wiener Verhandlungsrunden passiert ist, durchaus ermutigend. Das ist ein Hoffnungsschimmer. Und wir in der Außenpolitik haben dafür zu sorgen, dass aus dem Hoffnungsschimmer ein Licht wird. Dafür werde ich meine ganze Kraft einsetzen!
Wir bleiben dran: An diesem Wochenende tagen in Riad über 100 Vertreter von Oppositionsgruppen in Syrien gemeinsam miteinander, und in der Woche darauf werden wir im Wiener Format in New York zusammentreffen.
Es kann nur eine politische Lösung in Syrien geben. Doch eine Frage bleibt. Und diese Frage müssen sich auch diejenigen stellen, die jetzt klatschen: Heißt das, dass die Entscheidung vom Freitag im Deutschen Bundestag zu unserer militärischen Beteiligung in der Auseinandersetzung gegen ISIS deshalb überflüssig oder gar falsch war?
Mancher mag sich das so wünschen, aber ich sage euch: Das Gegenteil ist leider richtig. Meine Bitte ist: Lasst uns nicht das eine gegen das andere ausspielen! Ich bin wie kein anderer für eine politische Lösung, aber ich kann doch die Augen nicht davor verschließen, dass ISIS eine politische Lösung nicht will. Wir können doch auch nicht wollen, dass Regime und moderate Opposition in einen Waffenstillstand gehen und ISIS am Ende den Nutzen daraus zieht und sich noch weiteres Territorium in Syrien unter den Nagel reißt. Die ganze unschöne Wahrheit ist doch: Gerade wenn wir eine politische Lösung wollen, dann muss vom syrischen Territorium auch etwas übrig bleiben, das wir am Ende überhaupt befrieden können! Deshalb sage ich euch: Es ist nicht falsch, was am Freitag entschieden worden ist. Es ist am Ende richtig - auch aus Sicht derjenigen, die für die politische Lösung plädieren. Was wir am Freitag entschieden haben, war keine Entscheidung gegen eine politische Verhandlungslösung, sondern gerade eine Entscheidung, die eine spätere Verhandlungslösung überhaupt realistisch hält. Ich finde, das könntet ihr den Heuchlern von der Linkspartei, die wir in der Debatte gehört haben, ruhig einmal kräftig entgegenhalten!
Was mich am meisten ärgert, sind die von der Linkspartei, die jetzt mit der Angst der Menschen spielen und sagen: ‚Wenn Deutschland in dieser Auseinandersetzung mitmacht, ziehen wir dann am Ende nicht den Zorn der Terroristen auf uns in Deutschland?‘ Ich frage euch, ganz im Ernst: Liebe Freunde, was ist das für eine perfide Logik!? Abschottung, Lichter aus, Rollläden runter, wenn Terroristen durch die Straßen ziehen, und darauf hoffen, dass sie beim Nachbarn landen, wo die Fenster hell erleuchtet sind. - Das, liebe Freunde, ist eine Logik, mit der macht man weder das eigene Zuhause noch seine Nachbarschaft sicherer, und das ist bestimmt nicht die Logik von Sozialdemokraten!
Nun gab es letzte Woche einige in der Fraktion, die gesagt haben: „Frank, das ist schlüssig, was du sagst. Deine Politik ist okay, die Suche nach der politischen Lösung auch. Das unterstützen wir. Aber was Militär angeht: Nicht mit uns! Das ist unsozialdemokratisch.“ Ich habe mit vielen gesprochen, und glaubt mir: Ich habe Achtung vor denen, die sagen: Keine Gewalt, kein Militär! Und glaubt mir auch eines: Ich wäre gern auch ebenso konsequent dagegen.
Lasst mich diejenigen, die das sagen, nur auf eines hinweisen: In meiner Erfahrung gibt es Situationen, in denen auch das Prinzip zur hohlen Phrase wird, wenn es auf die unerbittliche Realität nicht mehr passt. Vor gut einem Jahr war ich, wie vorgestern auch, im Nordirak. Der IS drängte scheinbar ungebremst Richtung Osten vor. Als ich in Erbil landete, sah ich den Strom verzweifelter und erschöpfter Menschen, die sich aus dem Sindschar-Gebirge in die Stadt gerettet hatten: ältere Frauen, vor deren Augen die Männer und Söhne vom IS geköpft worden sind, deren Töchter von den Horden der IS vergewaltigt worden sind, Töchter, die nach den Massenvergewaltigungen auf neu eingerichteten Sklavenmärkten verkauft wurden, um die letzten Wochen ihres kurzen, trostlosen Lebens als Objekte der Lustbefriedigung der Frontkämpfer zu dienen, Frauen, deren Babys auf der Flucht aus den Bergen unterwegs verdurstet waren, Menschen, die alles verloren hatten, außer dem bisschen Leben, was sie unter die Plastikfetzen im Flüchtlingslager gerettet hatten. Und all das damals in Erbil vor einem Jahr in einer Situation, als Mossul schon gefallen war und man nicht wusste, wie lange Erbil noch hält.
Seht Ihr, liebe Freunde: Das ist so eine Konstellation, bei der es die einfache Lösung nicht gibt. Auf die wir nicht einfach nur mit Prinzipienerklärungen antworten können. Vielleicht gibt es da keine richtige Lösung und keine ohne Widersprüche -das ist wahr! Aber diesen Menschen, die dort vor einem Jahr ankamen, einen Beutel Reis in die Hand zu drücken und zu sagen: "Waffen sind keine Lösung": Das war eine Antwort, die mir jedenfalls eine Spur zu einfach war!
Mit anderen Worten: Ich finde, sich wehren zu können, wenn einem alles genommen wird, ist keine unethische Forderung. Wenn wir durch die Unterstützung der Peschmerga damals dazu beigetragen haben, dass sie sich wehren konnten, dann ist das aus meiner Sicht - verzeiht mir - keine Verletzung unserer Prinzipien.
Ich habe Respekt vor denen, die "Nein" sagen. Ich sage nur: Dieses "Nein" derjenigen steht nicht immer und automatisch in jeder Konstellation auf einer höheren moralischen Stufe als das "Ja". Wir tragen Verantwortung für das, was wir tun, aber auch für das, was wir unterlassen, liebe Freunde!
Deshalb habe ich gar keine Bange vor der Auseinandersetzung über Außenpolitik in diesem Lande. Und eines brauchen wir uns schon von gar niemandem vorwerfen zu lassen mit Blick auf die Entscheidungen am Freitag; wir seien da kopflos und ohne eine politische Strategie hineingegangen.
Wer ist denn derjenige, der seit Jahren gesagt hat: "Lasst uns im Westen aus den Fehlern des Irakkrieges lernen"?
Wer hat gesagt, dass ein militärischer Einsatz wie der in Libyen nichts bringt, wenn man den zweiten Schritt nicht beschlossen hat?
Wer baut heute schon in den vom IS befreiten Gebieten im Irak Strommasten, Wasserleitungen, Schulen und Krankenhäuser wieder auf, sodass die Vertriebenen nach Hause zurückkehren können? 130.000 Menschen –90 Prozent der Bevölkerung- sind heute ins befreite Tikrit zurückgekehrt, weil wir geholfen haben, wieder einigermaßen lebenswerte Bedingungen zu schaffen.
Und ich sage euch: Jetzt ist Sindschar befreit worden - im Augenblick zwar noch nicht so, dass die Menschen zurückkehren können, weil die Stadt völlig vermint und mit Sprengfallen verseucht ist. Aber wenn die beseitigt sind, dann müssen wir dasselbe auch in Sindschar tun. Und ich hoffe, dass uns dort das gelingt, was in Tikrit gelungen ist. Ich finde, das sind vornehme Aufgaben, denen sich die deutsche Außenpolitik gerne und gut widmen kann.
Und wer hat immer gesagt, dass wir ein vernünftiges Verhältnis zur Türkei brauchen?
Wer hat gesagt, dass uns das Schicksal der Flüchtlinge nicht erst etwas angeht, wenn die Menschen aus lauter Verzweiflung in die Schlauchboote steigen?
Wer hat dafür gesorgt, dass wir massive humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien und in der Türkei leisten?
Wer hat dafür gesorgt, dass Flüchtlingskinder in Jordanien zur Schule gehen können? Und wer hat dafür gesorgt, dass 2 Millionen Menschen auch im Norden Syriens heute wieder Brot zu essen haben, weil es Deutschland trotz Krieg geschafft hat, Getreidemühlen dorthin zu bringen?
Ihr wisst die Antwort auf diese Fragen. Es war und ist die sozialdemokratische Außenpolitik, die das bewirkt hat! Es sind die vielen kleinen konkreten Schritte, für die wir stehen. Aber vor allen Dingen ist es unser Wissen, dass wir etwas für eine bessere Welt beizutragen haben! Das Wissen, dass Krieg kein Schicksal ist und dass Veränderungen möglich bleiben! Liebe Freunde, der Partei von Willy Brandt muss niemand erklären, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen darf. Aber das reicht eben nicht, sondern wir Sozialdemokraten müssen auch dafür sorgen, dass von deutschem Boden die harte Arbeit gegen den Krieg ausgeht, wo immer er stattfindet! Diese Aufgabe ist unsere Aufgabe, liebe Freunde.
Dasselbe gilt für einen anderen Konflikt, bei dem ich nicht ganz verstehe, warum er in der Öffentlichkeit keine Rolle spielt. Er ist auch nah an unseren Grenzen, nämlich in Libyen. Bei diesem Konflikt wurde der Fehler von Irak wiederholt. Die Spitze des Staates wurde beseitigt, die Strukturen wurden ruiniert, der Kampf der bis an die Zähne bewaffneten Milizen - jeder gegen jeden - tobt, und der Staat zerfällt.
Auch da haben viele gesagt: Freunde, was kümmert ihr euch um Libyen? Da ist nichts zu machen. - Wir haben gesagt: Nein, das akzeptieren wir nicht.
Wir haben stattdessen gesagt: Lasst uns gucken, wer die entscheidenden Spieler der Opposition sind. Es hat vier Wochen gedauert, dann hatten wir sie heraus.
Dann haben wir gesagt: Wenn das die vier entscheidenden Gruppierungen sind, dann laden wir sie nach Berlin ein. Sie haben die Einladungen akzeptiert, und wir haben ihnen sogar ein Flugzeug geschickt, und sie standen in Tripolis zum Flug nach Berlin bereit.
Ich bekam dann in Brüssel den Anruf: Wir sind am Flughafen, aber wir steigen hier nicht ein. Mit den Leuten, die meine Familie erschossen haben, sitze ich nicht im selben Flugzeug. Das Ergebnis wäre gewesen, dass wir vier Flugzeuge hätten schicken müssen. Ich habe gesagt: Das ist der erste Test, der jetzt bestanden werden muss. Wenn wirklich Interesse besteht, miteinander zu reden, dann steigt in dieses Flugzeug ein. Sie sind zwei Stunden später eingestiegen und kamen in Berlin an.
Sie kamen in Berlin an und wollten in ihre Hotels - natürlich vier unterschiedliche Hotels. Wir haben ihnen gesagt: Das ist gut und schön, da dürft ihr auch hin, aber vorher gibt es ein gemeinsames Abendessen, damit ihr euch kennen lernt. Sie sagten: Kennen lernen wollen wir uns gar nicht.
Das Abendessen gab es aber trotzdem. Warum? Das fand nicht in irgendeinem Hotel statt, sondern wir haben einen Spreedampfer gemietet – da kann keiner weg! Und dann haben wir diese vier unterschiedlichen Gruppierungen, die nie miteinander geredet, sondern immer nur aufeinander geschossen haben, drei Stunden lang die Spree rauf und runter geschippert – solange, bis das Eis gebrochen war. Auch das ist Außenpolitik, liebe Freunde!
Lieber Sigmar, zum Schluss: Es geht doch auch um die Folgen dieser Krisen und Konflikte, von denen ich berichtet habe: es geht um die große Fluchtbewegung. Du hast als einer der Ersten die Konsequenzen in ihrer ganzen Trageweite verstanden. Und du hast sie nicht nur verstanden, sondern du hast sie angenommen. Du hast sie zu unserer Politik gemacht!
Du, Sigmar, sorgst dafür, dass die SPD Anker und Motor dieser Regierung ist und bleibt. Wir haben nicht nur den Koalitionsvertrag geschrieben und Punkt für Punkt in die Tat umgesetzt - Andrea den Mindestlohn, Manuela die Frauenquote, Heiko die Mietpreisbremse -, sondern jetzt führt die SPD von der Kommunalpolitik bis zur Außenpolitik unser Land auch durch diese nächste große und schwierige Umwälzung! Das ist eine Riesenaufgabe, liebe Freunde, aber das ist auch eine große Chance für die Sozialdemokratie!
Was doch fast noch erstaunlicher ist, Sigmar: Der Streit darüber, wie man das am besten macht, findet weniger bei uns als vielmehr bei den anderen statt. Du, Sigmar, hast stattdessen ganz früh gesagt: Lasst uns das anpacken! - Du hast gesagt: Lasst diese schicksalhaften Zeiten nicht einfach passieren – sondern lasst sie uns politisch gestalten! - Das genau ist der Mut, von dem ich am Anfang gesprochen habe. Das ist der Mut, der Sozialdemokraten auszeichnet!
Liebe Genossinnen und Genossen: Ihr wisst, ich bin nicht zum ersten Mal Außenminister. Ich bin es vor zehn Jahren geworden. Vieles hat sich seitdem verändert: nicht nur in der Welt, sondern auch Deutschlands Rolle in der Welt.
Deutschland wird um Rat gefragt, wo wir früher nicht gefragt wurden.
Unser Handeln wird erwartet, wo es früher nicht erwartet wurde.
Unsere Stimme wird ‑hin und wieder zumindest‑ gehört, wo sie früher nicht gehört wurde.
Deshalb habe ich bei meinem Amtsantritt 2013 gesagt: Deutschland ist ein bisschen zu groß, um die Außenpolitik der anderen nur zu kommentieren. Sondern Deutschland muss bereit sein, Verantwortung zu tragen - nicht, liebe Freunde, weil wir uns Verantwortung anmaßen wollen, sondern weil wir sie in den Augen der anderen schlichtweg haben!
Ich finde: Wenn das so ist; wenn Deutschlands Stimme in der Welt Gehör findet, dann lasst uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass diese Stimme auch eine sozialdemokratische Stimme ist: ‚damit der Friede bleibt‘!
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Pressemitteilung
10.12.2015 | 253/15