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Foto: Norbert Walter-Borjans
photothek
29.10.2021 | Norbert Walter-Borjans tritt nicht erneut an

„Jetzt sollen mal Jüngere ran“

Norbert Walter-Borjans will auf dem Parteitag im Dezember nicht erneut für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren. Gemeinsam mit Saskia Esken habe er das Ziel erreicht, die „Partei auf Kurs zu bringen“, sagte er im Interview mit der Rheinischen Post. „Jetzt sollen mal Jüngere ran.“ Zuvor hatte er dem Parteivorstand seine Entscheidung mitgeteilt.

Rheinische Post: Die SPD ist nach der Bundestagswahl stärkste Partei. Und am 6. Dezember soll womöglich schon der neue Bundeskanzler Olaf Scholz gewählt werden. Lag der Erfolg nur am Spitzenkandidaten oder auch an der Partei, die viele schon abgeschrieben hatten?

Walter-Borjans: Es ist ein wirklich gutes Gefühl, dass Saskia Esken und ich in der SPD Voraussetzungen dafür schaffen konnten, diesen Erfolg zu erringen. Wir haben von Anfang darauf hingewirkt, dass die Parteiführung wieder eng und vertrauensvoll zusammenarbeitet – und wir haben auf Olaf Scholz als den richtigen Kandidaten für die nächste Kanzlerschaft gesetzt. Unser Ziel war es auch, die Mitglieder an den Entscheidungen zu beteiligen, die Partei nicht von der Basis abgekoppelt aus der Berliner Blase zu führen. Auch da haben wir eine Menge erreicht. Und schließlich enthält das Parteiprogramm die politischen Vorhaben, die uns von Anfang an wichtig waren. Wir sind also weit gekommen auf unserem Weg – man könnte sagen: Mission accomplished, also Mission erfüllt.

Nach dem Motto „never change a winning team“ müssten Sie erneut kandidieren, wenn die SPD am 11. Dezember einen neuen Vorsitzenden wählt.
Dazu werde ich besonders in letzter Zeit von vielen ermuntert, übrigens aus allen Strömungen in der Partei. Das freut mich besonders. Für mich war mit dem Vorsitz von vornherein keine weitere Karriereplanung verbunden, sondern das Ziel, die Partei auf Kurs zu bringen und zu zeigen, dass es ohne Alphatier-Gehabe besser geht. Mit dieser Mission bin ich so weit gekommen, dass ich sagen kann: Jetzt sollen mal Jüngere ran. Deshalb habe ich den Vorstand meines nordrhein-westfälischen Landesverbandes gebeten, auf meine erneute Nominierung zu verzichten.

Gibt es dafür noch andere Gründe, als die Jüngeren dranzulassen?
Es ist ein gutes Gefühl, zwei Jahre die SPD mitgeprägt zu haben. Wir haben in dieser Zeit gezeigt, dass wir zusammenhalten und mit sozialdemokratischer Politik erfolgreich sein können. Wir sind nach vielen Jahren wieder die führende Größe in der deutschen Politik. Und es kommt ja nicht so oft vor, dass Parteivorsitzende es selbst in der Hand haben, ihr Amtsende zu bestimmen – noch dazu in Zeiten des Erfolgs. Im Übrigen gehöre ich zu den Leuten, die immer auch Neigungen für Dinge außerhalb der Politik hatten.

Als Sie Ihr Amt antraten, waren Sie sehr kritisch gegenüber der großen Koalition. War die Einschätzung damals falsch?
Auch damals war nicht der Bruch der Großen Koalition oberstes Ziel. Uns ging es um neue Inhalte wie Mindestlohn, eine andere Klimapolitik und massive Investitionen in Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur in Stadt und Land. Dafür haben wir schon vor Corona erste Weichen gegen den anfänglichen Widerstand unseres Koalitionspartners CDU/CSU stellen können. In der Pandemie hat sich dann zweierlei gezeigt. Erstens, wie richtig unser Ansatz eines handlungsfähigen Staats ist. Und zweitens, dass auch die demokratische Opposition diesen Weg mitging.

Also sehen Sie die Groko gar nicht so schlecht im Nachhinein?
In der Krise haben sich Regierung und unsere parlamentarische Demokratie bewährt. Die GroKo hat unter dem Druck der Ereignisse Handlungsfähigkeit und Mut bewiesen. Mit dem Konjunkturpaket, Kurzarbeitergeld und vielen anderen Maßnahmen haben wir die Auswirkungen der Pandemie in Schach gehalten. Aber wir haben auch die Grenzen bei den politischen Aufgaben gesehen, die über Krisenpolitik hinausgehen: Für einen sozial abgesicherten Aufbruch und beherzte Weichenstellungen mit den dazu gehörenden Investitionen des Staates waren CDU und CDU nicht zu begeistern. Im Gegenteil: Sie saßen oft im Bremserhäuschen.

Ist die Ampel-Koalition jetzt Ihr Wunschbündnis?
Es geht nicht ums Wünschen, sondern ums Machen. Und die Lust, den Fuß von der Bremse zu nehmen und für einen Aufbruch zu sorgen, ist bei allen drei Partnern mit Händen zu greifen. Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass die Ampel nicht das Ziel meiner Träume war, weil ich eine gerechtere Beteiligung aller Einkommen an der Finanzierung des Staates für nötig halte. Das ist in dieser Konstellation nur bedingt möglich. Aber die offene und kollegiale Art und Weise, wie wir diesen Konflikt austragen und in der Gesamtsicht auf eine gute Lösung hinarbeiten, macht mich zuversichtlich, eine stabile, aktive und zukunftsgerichtete Regierung hinzubekommen.

Ist die FDP die Stimme der wirtschaftlichen Vernunft in der möglichen neuen Koalition?
Ich halte nichts von Klischee-Zuweisungen, dass etwa die Liberalen für die Wirtschaft, die Grünen für das Klima und die SPD für das Soziale zuständig sind. Die Grünen sind durchaus offen für wirtschaftliche Innovation, die Liberalen haben den Stellenwert des Klimaschutzes erkannt. Und die SPD ist als Volkspartei eine Klammer, die Ökonomie, Ökologie und den sozialen Ausgleich miteinander verbindet.

Wenn alles so harmonisch ist in der neuen Konstellation, hält dann das neue Bündnis für mehr als eine Wahlperiode?
Ich teile den Anspruch von Olaf Scholz, von Anfang an so zu regieren, dass unsere Wählerinnen und Wähler sich in ihrer Entscheidung vom 26. September bestätigt sehen – und dass sie das auch bei der nächsten Wahl noch so empfinden. Schließlich werden die großen Aufgaben wie Klimaschutz und der Wandel unserer Gesellschaft und Wirtschaft mehr als das ganze Jahrzehnt bestimmen.

In der Ära Merkel ist vieles liegengeblieben – Digitalisierung, Infrastruktur, moderne Bildung. Trägt die SPD daran eine Teilschuld?
Nicht von ungefähr habe ich gefordert, dass die SPD in der nächsten Regierung in das Bundeskanzleramt gehört. Das Kanzleramt ist die Schleuse zu Kabinett und Bundestag. Da sind wir als Juniorpartner in der GroKo allzu häufig ausgebremst worden. Ich habe großen Respekt vor der scheidenden Bundeskanzlerin. Eine Antreiberin für einen aktiven, investierenden Staat war sie nicht. Der Fetisch „Schwarze Null“ stand bis zum Ausbruch der Pandemie immer höher im Kurs als die dringend nötigen Zukunftsinvestitionen des Staates.

Derzeit schwächelt die deutsche Wirtschaft. Brauchen wir neue Schulden, um den Aufbruch zu schaffen?
Schulden an sich sind kein Ziel. Es kommt darauf an, wieviel Geld für die dringend notwendigen Investitionen über die finanziellen Reserven hinaus nötig ist. Als Erstes brauchen wir schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, damit vorhandenes Geld überhaupt zum Einsatz kommt. Was darüber hinaus nötig ist, kann nur aus Steuern oder Krediten kommen. Und wie in einem Unternehmen gilt auch für den Staat, dass Kredite für Investitionen durchaus sinnvoll sind, wenn deren Nutzen in der Zukunft höher ist als die damit verbundenen Kosten. In Minuszins-Zeiten auf die Modernisierung von klassischer und digitaler Infrastruktur zu verzichten, wäre die wirkliche Verschiebung von Lasten in die Zukunft.

In der Steuerpolitik kann die SPD die Leistungsträger der Mitte – Facharbeiter, Pflegekräfte oder Polizeibeamte – nicht ausreichend entlasten, weil die FDP gegen Steuererhöhung für Reiche ist. Verfehlt die SPD hier ihr Wahlversprechen?
In einer Koalition kann niemand sein Programm zu hundert Prozent durchsetzen. Wir haben den Mindestlohn von zwölf Euro durchgesetzt. Das ist eine Lohnerhöhung für zehn Millionen Menschen. Das ist SPD pur. Auch Kindergrundsicherung und sozialer Wohnungsbau kommen den kleinen und mittleren Einkommen zugute. Unser Ziel, die Steuern für die unteren und mittleren Einkommen zu senken, wäre nur ehrlich erreichbar, wenn wir die Spitzeneinkommen etwas stärker heranziehen. Andernfalls würden die Erleichterungen der mittleren Einkommen ja durch Leistungsabbau oder Gebühren an anderer Stelle von derselben Gruppe bezahlt. Da ist mit der FDP nicht viel drin. Dafür bleibt der Soli für Besserverdienende. Und wir werden deutlich härter gegen Steuerbetrug und Geldwäsche vorgehen.

Sollten die neuen Vorsitzenden der SPD ein Ministeramt in dieser Ampel-Koalition anstreben?
Die bisherige Arbeitsteilung – Parteivorsitz auf der einen und Regierungsamt auf der anderen Seite – hat sich bewährt. Die SPD-Führung darf nicht als Sprecherin der Koalition fungieren, sondern muss sozialdemokratische Impulse in die Regierung senden, wo dann selbstverständlich Kompromisse ausgehandelt werden müssen. Ein Regierungsmitglied als Parteichefin oder Parteichef ist aber notwendigerweise immer ein Stück Regierungssprecher. Die debattierfreudige SPD hat damit keine guten Erfahrungen gemacht. Um das zu ändern, haben Saskia Esken und ich ja 2019 ja gerade für den Vorsitz kandidiert.

Welchen Rat geben Sie Ihrer SPD mit auf den Weg?
Die SPD hat einen Führungsauftrag in der neuen Koalition – auf Augenhöhe und mit Respekt vor den Partnern. Und die Sozialdemokraten müssen Volkspartei bleiben. Das ist nicht selbstverständlich, wie andere Länder gezeigt haben. Eine Volkspartei muss den Interessenausgleich unterschiedlicher Gruppen der Gesellschaft innerhalb der Partei hinbekommen. Sonst bildet sich für jede Gruppe eine eigene Partei mit der Folge, dass wie in den Niederlanden 17 Fraktionen im Parlament sitzen und Interessenausgleich über eine Koalition von vier, fünf oder mehr Parteien gesucht werden muss. Das ist alles andere als stabiles Regieren. Die SPD muss unsere Gesellschaft auch in Zukunft als Volkspartei mitprägen – in Richtung Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität.

Das Interview erschien zunächst in der Rheinischen Post.