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1930 | Kabinett Herrmann Müller

Das Ende der Regierung Hermann Müller

Am 27. März 1930, drei Jahre vor Hitlers "Machtergreifung", gibt sich die Weimarer Republik selber auf. Reichskanzler Hermann Müller tritt zurück. Die Sozialdemokratie verabschiedet sich aus der Regierungsverantwortung.

Ab jetzt regieren Kanzler auf der Basis von Notverordnungen des Reichspräsidenten von Hindenburg. Das Parlament ist entmachtet. Es kann jederzeit aufgelöst werden. Wahl folgt bald auf Wahl. Jene Kräfte, die Parlamente immer schon als "Quasselbuden" verunglimpft haben, sehen sich nahe am Ziel.

Nur zwei Jahre früher sieht die Welt noch anders aus. Nach turbulenten Zeiten, nach Inflation und gescheiterten Staatsstreichen, wirkt Deutschland stabilisiert. Wenn später von den "Goldenen Zwanzigern" die Rede sein wird, ist zumeist diese Phase gemeint.

Die SPD gewinnt die Reichstagswahl und bildet eine "Große Koalition" mit dem Zentrum, der Bayerischen Volkspartei, der linksliberalen DDP und der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP).

Ein vergifteter Start

Doch schon der Start ist vergiftet. Der in weiten Teilen antirepublikanisch eingestellten DVP ist das Regieren unter einem sozialdemokratischen Kanzler peinlich. Zunächst darf auf ihr Betreiben nicht von einer förmlichen Koalition, sondern nur von einem "Kabinett der Köpfe" die Rede sein.

Die SPD hat ihren Wahlkampf mit der Ablehnung eines großen Rüstungsprojekts befeuert: "Kinderspeisung statt Panzerkreuzer". Jetzt dringen ihre Regierungspartner auf den Bau eben dieser Panzerkreuzer. Müller stimmt widerstrebend zu, doch die SPD-Reichstagsfraktion zwingt ihn und die anderen sozialdemokratischen Minister, im Parlament gegen den Bau zu votieren. Müllers Autorität ist unterhöhlt – dabei hat er doch selbst diese Fraktion von 1922 bis 1928 geleitet.

Dennoch gelingt es der Regierung Müller, ein zentrales außen- und finanzpolitisches Ziel zu erreichen: Die Reduzierung der Reparationszahlungen durch den sogenannten Young-Plan. Endlich stehen die Reichsfinanzen auf halbwegs stabiler Grundlage. Doch dieser Erfolg wird Müller nicht honoriert.

Ein schwarzer Oktober

Die DVP stützt ihn im Grunde nur, weil ihr Vorsitzender Gustav Stresemann Müllers Ziele teilt und sich mit ihm persönlich gut versteht. Doch Stresemann stirbt am 3. Oktober 1929.

Drei Wochen später, am 24. Oktober 1929, bricht die New Yorker Börse zusammen. Eine Weltwirtschaftskrise beginnt. Ausländisches Kapital strömt aus Deutschland ab, die Arbeitslosenzahlen schießen in die Höhe; binnen drei Monaten von 1,3 auf mehr als zwei Millionen. 1932 werden mehr als fünf Millionen Menschen arbeitslos sein.

Dabei ist die Arbeitslosenversicherung schon vor dem Crash im Grunde pleite. Müllers SPD schlägt zu ihrer Sanierung Beitragserhöhungen und Notabgaben Vermögender vor. Führende Wirtschaftskreise sind strikt dagegen. Die DVP folgt ihrer Linie. Sie verlangt Leistungskürzungen.

Seit Stresemanns Tod gibt in der DVP der Medienmogul Alfred Hugenberg den Ton an. Seine Zeitungen hetzen gegen Parlamentarismus, Marxismus und Sozialdemokratie. Auch in Wirtschaftszirkeln, vor allem in Kreisen der Schwerindustrie, gewinnt die Idee einer antimarxistischen Abwehrfront Boden. Es ist die Idee einer Ablösung von Regierungen, die sich auf parlamentarische Mehrheiten stützen müssen, durch eine Autorität, die durchregieren kann.

Italien marschiert voran

Italien macht es vor. Mussolinis Faschisten gehen brutal gegen alles "Linke" vor und sorgen vermeintlich für "Recht und Ordnung" im Staat. Deutschlands Linke ist seit 1928 tiefer gespalten denn je. Die KPD sieht seither, Moskauer Anweisungen folgend, in der SPD ihren Hauptgegner. Sie bekämpft "Sozialfaschisten" und die Republik nicht weniger entschieden als die radikale Rechte. Der Berliner "Blutmai" von 1929 kommt ihr gerade recht.

Der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel hat vor dem Hintergrund früherer blutiger Straßenschlachten ein Demonstrationsverbot verhängt. Die KPD ruft dennoch zur Demonstration auf. Die Polizei geht gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Am Ende des Tages werden mehr als 30 Tote und Verletzte gezählt.

Seit dem Frühjahr 1929 ist Hermann Müller zudem schwer krank. Mit aller verbliebenen Kraft versucht er die Koalition zusammenzuhalten. Im Streit um die künftige Finanzierung der Arbeitslosenversicherung schlägt der Zentrumspolitiker Brüning schließlich einen letzten Kompromiss vor: Vertagung der eigentlichen Entscheidung auf Ende 1930.

Die SPD-Reichstagsfraktion zieht einen Schlussstrich

Darauf will sich die Mehrheit der SPD-Reichstagsfraktion nicht mehr einlassen. Sie lehnt den Kompromiss ab. Zuvor schon ist der Präsident der Reichsbank, Hjalmar Schacht, aus Protest gegen die Regierungspläne, aber ansonsten aus entgegengesetzen Motiven, zurückgetreten. Unter Hitler wird er dieses Amt übrigens wieder bekleiden.

Rudolf Hilferding, im Kabinett Müller Finanzminister, bezeichnet den Bruch der Großen Koalition später als "Selbstmord aus Angst vor dem Tod". Erst 1969 wird die SPD wieder einen Kanzler stellen. Dazwischen liegen Diktatur, Terror, Krieg, Völkermord und Deutschlands brutale Teilung.

Hermann Müller erlebt den Untergang der Republik nicht mehr. Er erliegt am 20. März 1931 den Folgen einer Gallenoperation. Rund 300 000 Trauernde folgen seinem Sarg auf dem Weg zum Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde. Die Reichswehr bleibt der Trauerfeier demonstrativ fern.

Die SPD setzt auf Preußen

Hätte es eine Alternative zum Bruch der Koalition gegeben? In wichtigen Staatsämtern und in führenden Medien geben schon 1930 Feinde der Republik den Ton an. Die moskauhörige KPD macht, wenn es gegen Sozialdemokrat*innen und die Republik geht, mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache. Die SPD selbst ist zerrissen darüber, wieviele Kompromisse sie hat mittragen müssen.

Und immerhin: In Preußen regiert sie 1930 noch. Dort wirkt die alte Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP, stabil. Preußen macht zwei Drittel des Reichsgebietes aus. Die preußische Polizei untersteht zumeist sozialdemokratischen Polizeipräsidenten. Noch ruht nicht alle Macht in den Händen von Republikfeinden. Bis zum "Preußenschlag" von 1932.