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1932 | BVG-Streik

Foto: W. Ulbricht (sthd.) und J. Goebbels (v.l.) bei gemeinsamer Veranstaltung am 27. Januar 1931 im Saalbau hinter dem Kino Friedrichshain

Der BVG-Streik: Es geht um zwei Pfennig und das Schicksal der Republik

Im Herbst 1932 rufen Walter Ulbricht und Josef Goebbels gemeinsam zu einem wilden Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) auf. Gemeint ist: zum Sturm auf die Republik, zum Kampf gegen Sozialdemokrat*innen.

1932 ist der künftige Staatsgründer der DDR, Walter Ulbricht, Chef der KPD in Berlin. Goebbels ist sein Gegenüber bei der NSDAP.

Auf dem Foto sind beide auf einer nationalsozialistischen Kundgebung im Saalbau Friedrichshain am 22. Januar 1931, zu der die NSDAP auch das Reichsbanner und die KPD eingeladen hatten, zu sehen. Der kommunistische Reichstagsabgeordnete Walter Ulbricht hält seine Ansprache. Vorn links sitzt Goebbels, die Hand an den Kopf gestützt. Nach Ulbrichts Ansprache kommt es zu schweren Krawallen, die über 100 Verletzte fordern.

Trotz der Gegensätze der beiden Parteien, verfügen sie über Gemeinsamkeiten. Beide Parteien sehen sich im Endkampf gegen die Weimarer Republik. Und die Kommunisten halten die SPD für ihren Hauptgegner. Sie wüten gegen "Sozialfaschisten" und sozialdemokratischen "Reformismus".

Die meist pünktlichen und schnellen Berliner Busse und Bahnen sind ein Erfolg dieses Reformismus. Der sozialdemokratische Verkehrsstadtrat Ernst Reuter – nach dem Krieg wird er Berlins Regierender Bürgermeister – hat den Zusammenschluss der vielen Berliner Verkehrsgesellschaften 1928 bewirkt.

Berlin wächst zusammen

Seit 1920 wachsen Dutzende kleiner Gemeinden zu "Groß-Berlin" zusammen. U-Bahnen sind in Bau. Dank S-Bahn und BVG wird die Riesenstadt selbst für "kleine Leute" er-fahr-bar. Autos haben noch Seltenheitswert.

In der Wirtschaftskrise verlieren die demokratischen Parteien Wählerinnen und Wähler. Reichskanzler ist Franz von Papen, aber nur, weil Reichspräsident von Hindenburg noch davor zurückschreckt, Adolf Hitler, den Vorsitzenden der NSDAP, zum Kanzler zu ernennen. Die KPD folgt Moskauer Anweisungen und hofft, das Ende der Republik werde zur Revolution in ihrem Sinne führen.

"Bolschewismus und Faschismus haben ein gemeinsames Ziel," erklärt der KPD-Abgeordnete im sächsischen Landtag Kurt Alfred Sindermann: "die Zertrümmerung des Kapitalismus und der Sozialdemokratischen Partei." Der BVG-Streik wird zum "Paradebeispiel" (Heinrich August Winkler) der Zusammenarbeit von "Nazis und Kozis".

Die Reichsregierung ordnet Lohnkürzungen an

Als die Regierung von Papen mitten in der Wirtschaftskrise weitere Lohnkürzungen anordnet und die BVG den Stundenlohn ihrer 22 000 Beschäftigten um fast ein Viertel, nämlich um 23 Pfennige zu kürzen plant, wittern KPD und NSDAP die Chance, ins Lager sozialdemokratischer Wähler*innen noch tiefer einzubrechen.

Fast scheint der Plan zu scheitern, denn die SPD-nahen Gewerkschaften handeln die Kürzung auf zwei Pfennig herunter. Doch die von der KPD gegründete "Revolutionäre Gewerkschaftsopposition" macht trotzdem erfolgreich Stimmung gegen die Kürzung, vor allem unter nicht organisierten Arbeitern. Ihr Motto zieht: "Keinen Pfennig Lohnraub bei der BVG!" Sie setzt die Gründung eines "Kampfausschusses" und eine Urabstimmung durch. Obwohl dabei am 2. November die notwendige Dreiviertelmehrheit verfehlt wird, wird auf Betreiben von KPD und NSDAP eine zentrale Streikleitung eingesetzt. Sie trifft sich im Karl-Liebknecht-Haus, der Berliner KPD-Zentrale.

Goebbels und Ulbricht lassen Streikposten aufziehen

In der Nacht auf den 3. November lassen Goebbels und Ulbricht Streikposten aufmarschieren. Wer sich am Streik nicht beteiligen will, wird als "Bluthund" beschimpft und tätlich angegriffen.Die Streikenden zerstören Stromleitungen, werfen mit Steinen auf Busse, gießen Schienen mit Beton aus. Polizisten schützen fahrende Bahnen und schießen scharf. Drei Streikende und eine unbeteiligte Frau kommen ums Leben.

Die KPD veranlasst, dass "revolutionäre Arbeiter der BVG" eine Grußbotschaft nach Moskau schicken – als "Beweis der engen Verbundenheit mit euch".

Goebbels hingegen hofft, Arbeiterinnen und Arbeiter  davon zu überzeugen, dass die Nazis wirklich National-Sozialisten sind. Bisher stammen ihre Wählerinnen und Wähler fast ausschließlich aus bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten.

Erreicht wird nichts

Nach wenigen Tagen bricht die Streikfront zusammen. Es bleibt bei der Lohnkürzung um zwei Pfennige. Doch die KPD feiert den "Roten Freitag" und freut sich über kräftige Zugewinne bei den erneuten Reichstagswahlen am 6. November. Die NSDAP verliert leicht. Fast scheint das von KPD-Chef Ernst Thälmann ausgegebene Ziel erreichbar: "der Einbruch in die Front der Hitler-Bewegung".

Doch nicht Thälmann, sondern Hitler und Goebbels sind ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen. Die NSDAP bleibt stärkste Partei. Wenige Monate später wird von Hindenburg seinen Abscheu gegenüber dem Emporkömmling Hitler überwinden und ihn zum Reichskanzler ernennen. Das erste Opfer der sofort einsetzenden nationalsozialistischen Revolution werden Kommunistinnen und Kommunisten sein, gefolgt von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – und später vielen, vielen weiteren. Ganz so, wie es Joseph Goebbels 1932 in seinem Tagebuch notiert: "Jetzt müssen wir an die Macht und den Marxismus ausrotten. So oder so!"