arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

1933 | Bücherverbrennung

Foto: Bücherverbrennung in Essen um 1933: Feuer mit Zuschauern im Hintergrund
AdsD/FES

10. Mai 1933
Die Dummheit siegt über den Geist

In 22 deutschen Universitätsstädten verbrennen Studenten Bücher von 94 "undeutschen" Autoren: unter wohlwollendem Nicken von Professoren, im Schutz der Polizei, bejubelt von der nationalsozialistischen Propagandapresse.

Jeder, der Augen hat zu sehen und Ohren hat zu hören, bekommt im April und Mai 1933 mit, worum es den Nazis geht. Sie verschweigen nichts, im Gegenteil. Sie sind stolz darauf, alles "Undeutsche" auszumerzen.

Die Deutsche Welle überträgt die an den Scheiterhaufen gehaltenen Reden, eine nach der anderen. Die gleichgeschalteten Zeitungen überschlagen sich vor Begeisterung über den "Kampf gegen das Untermenschentum der Fremdblütighen":

"Schließen wir die Reihen der deutschen Menschen, die da um die Zukunft kämpfen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Schrifttum, stehen wir zusammen, eine neue Front, die unaufhaltsam marschiert, deren Ruf nur ein Wort ist: Deutschland!"

Und Joseph Goebbels, seit kurzem Minister für Propaganda und Volks-"Aufklärung", spricht ausnahmsweise die Wahrheit:

"Hier sinkt die geistige Grundlage der Novemberrepublik zu Boden."

Goebbels selbst hält die Hauptrede am Opernplatz in Berlin. Zuvor sind 25 000 Bücher von einer Sammelstelle aus in einem Fackelzug am Reichstag vorbei durchs Brandenburger Tor über die Straße Unter den Linden bis zum Platz nahe der Universität transportiert worden. 70 000 Menschen sollen dabei zugesehen haben.

Einer davon ist Erich Kästner. Auch seine Bücher werden den Flammen übergeben, wie die von Heinrich Heine, Heinrich Mann, Karl Marx, Karl Kautsky, Bert Brecht, Joachim Ringelnatz, Karl Kraus, Sigmund Freud, Erich Maria Remarque. Getreu einem Aufruf der stramm nationalsozialistischen Deutschen Studentenschaft:

"Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude und der, der ihm hörig ist." Und: "Deutsche Schrift steht nur Deutschen zur Verfügung." Es gehe um die "Reinerhaltung der deutschen Sprache" von allem jüdischen, marxistischen und pazifistischen Gedankengut. Oder, wie Goebbels am Bebelplatz ruft, darum, "dass in Deutschland die Nation sich innerlich und äußerlich" reinige.

Kästner hört zu und berichtet:

"...im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen. Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich. Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: "Dort steht ja Kästner!" Eine junge Kabarettistin, die sich mit einem Kollegen durch die Menge zwängte, hatte mich stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen. Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts. (Obwohl in diesen Tagen gerade sehr viel zu geschehen pflegte.) Die Bücher flogen weiter ins Feuer. Die Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners ertönten weiterhin. Und die Gesichter der braunen Studentengarde blickten, die Sturmriemen unterm Kinn, unverändert geradeaus, hinüber zu dem Flammenstoß und zu dem psalmodierenden, gestikulierenden Teufelchen."

Schandpfähle für Professoren

Die "Hinrichtung des Ungeistes" ist von langer Hand geplant. Die Inspiration liefern die Plünderungen der SPD-Parteihäuser im März. An vielen Orten werfen SA-Leute dabei jubelnd und grölend die Bücher von Bebel, Liebknecht, Marx oder Luxemburg ins Feuer, ebenso wie Akten und Archivbestände.

Goebbels ist begeistert und inszeniert eine reichsweite "Reinigungsaktion". Nur das Wetter hat er nicht im Griff. Am Abend des 10. Mai regnet es in Berlin in Strömen. Dafür folgen die Universitäten dem Propagandaminister willig bis begeistert. Gießen eilt voran. Hier brennt der Scheiterhaufen schon am 8. Mai. Das ganze Jahr über werden Bibliotheken und Buchhandlungen in Dutzenden von Städten durchforstet und von allem befreit, worin die Nazis "Verfallserscheinungen des deutschen Geisteslebens" sehen.

In Königsberg, Rostock, Erlangen, Münster und Dresden errichten Studenten "Schandpfähle": "Heute für die Schriftsteller, morgen für die Professoren".

In Deutschland gibt es keine freie, kritische Presse mehr. Journalisten wie Carl von Ossietzky oder Julius Leber gehören zu den allerersten Opfern des Nazi-Terrors. Aber in Prag erscheint die "Arbeiter-Illustrierte Zeitung“. Ihre hellsichtige Schlagzeile zu den Bücherverbrennungen wird berühmt: "Durch Licht zur Nacht".

1947, Berlin liegt in Trümmern, findet am Opernplatz – der heute Bebelplatz heißt – eine erste Kundgebung zur Erinnerung an Goebbels’ "Aktion wider den undeutschen Geist" statt. Dabei resümiert Peter Suhrkamp:

"Die Flammen, die zuerst über den Bücherhaufen prasselten, verschlangen später im Feuersturm unsere Städte, menschliche Behausungen, die Menschen selbst. Nicht der Tag der Bücherverbrennung allein muss im Gedächtnis behalten werden, sondern diese Kette: von dem Lustfeuer an diesem Platz über die Synagogenbrände zu den Feuern vom Himmel auf die Städte."

Schon 1821 sieht Heinrich Heine voraus: "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen".