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1946 | Urabstimmung

Foto: Blick auf das SPD-Kreisbüro Tempelhof während der Urabstimmung über die Vereinigung der SPD mit der KPD in Berlin am 31.03.1946

31. März 1946
Die SPD votiert für Einheit in Freiheit

"Bist Du für den sofortigen Zusammenschluss beider Arbeiterparteien?" Auf diese Frage geben Berlins Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten am 31. März 1946 eine klare Antwort: Nein! Es ist ein Schlag ins Gesicht der Sowjets und der KPD.

Die Kommunisten und die Machthaber in der sowjetisch besetzten Zone haben das Ergebnis wohl erahnt. Vorsichtshalber schließt die sowjetische Militärverwaltung die Wahllokale im Ostteil Berlins. Nur in den Westsektoren können Mitglieder der SPD ihre Stimme abgeben. 23 755 Genossinnen und Genossen machen davon Gebrauch. 19 529 lehnen die sofortige Vereinigung der SPD mit der KPD ab.

Die Berliner SPD zählt weniger als ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg bereits wieder rund 60 000 Mitglieder. Die KPD kommt an solche Zahlen nicht annähernd heran. Auch nicht im Sowjetsektor, wo die Besatzungsmacht alles tut, der KPD Vorteile zu verschaffen.

Hat man nicht gemeinsam gegen Hitler gekämpft?

Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht sind aus dem Moskauer Exil zurückgekehrt und übernehmen die Führung der Partei. Sie folgen sowjetischen Direktiven – auch wenn sie offiziell erklären, der deutsche Weg zum Kommunismus müsse nicht mit dem russischen identisch sein.

Ihr Ziel Nummer Eins ist: Ausschaltung der SPD. Dazu gibt sich die KPD in den ersten Monaten nach dem Krieg ein demokratisches Gewand. Von eigenen "Fehlern" ist die Rede, ja sogar vom Streben nach einer parlamentarischem Demokratie im Geist von 1848. 

Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen das zunächst gern glauben. War man nicht gemeinsam Opfer des Hitler-Terrors? Hat man nicht oft genug Seite an Seite im KZ gelitten? Beruft man sich nicht auf die gleichen Traditionen? Hat nicht die Uneinigkeit der Arbeiterbewegung Hitler den Weg an die Macht erleichtert? Kommen die Sowjettruppen nicht als Befreier?

Doch so treten sie nicht auf. Jedenfalls nicht im Umgang mit Kritikerinnen und Kritikern. Sozialdemokrat*inne werden in der sowjetischen Zone drangsaliert, verhaftet, bedroht. Sehr schnell wird, wer nicht bis in die exakte Wortwahl Moskauer Vorgaben folgt, als "Faschist" und "Volksschädling" verunglimpft – was lebensgefährlich sein kann. Dabei spielt es keine Rolle, wenn die so Beschimpften während der NS-Zeit Widerstand geleistet haben.

Deutschland und Berlin sind viergeteilt

Deutschland ist seit der Kapitulation der Wehrmacht in vier Sektoren aufgeteilt. Berlin liegt mitten im sowjetischen Sektor, aber hier gilt eine Sonderregel. Auch die Stadt selbst ist viergeteilt. Bald wird tagtäglich spürbar, dass in den drei Westsektoren (der USA, Großbritanniens und Frankreichs) ein anderer Ton herrscht und andere Regeln gelten als dort, wo die Sowjets die Macht haben.

Im Kreml regiert Josef Stalin – mit äußerster Brutalität auch gegenüber den eigenen Leuten. Ein falsches Wort kann genügen, um "Säuberungen" zum Opfer zu fallen. Manchmal braucht es nicht einmal ein Wort. Diese Erfahrungen bringen Pieck und Ulbricht aus Moskau mit.

Die Abschaffung der SPD zugunsten einer "Sozialistischen Einheitspartei" soll demokratisch wirken, wie "von unten" gewollt. Berlins Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nehmen die KPD beim Wort und rufen alle Mitglieder zur Urabstimmung auf.

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Urabstimmung über die Vereinigung der SPD mit der KPD in Berlin: Ein Sozialdemokrat wirbt auf einem Fahrradanhänger für die SPD

Warnungen vor einer Spaltung Deutschlands

Der Beschluss dazu fällt Anfang März 1946 in einer turbulenten Funktionärskonferenz im "Admiralspalast" an der Friedrichstraße – im sowjetischen Sektor der Stadt. Delegierte aus dem Ost-Teil der Stadt stehen unter massivem Druck der Militärverwaltung und von "Genossen", die jede Kritik an einer Vereinigung der Parteien als Verrat an der Arbeiterbewegung diffamieren.

Schließlich liest der Spandauer Delegierte Gerhard Außner einen Resolutionstext vor, der zur offenen Abstimmung gestellt wird und – Augenzeugen zufolge – fast 90 Prozent Zustimmung gewinnt. 

Darin wird der Zwiespalt zwischen dem Wunsch nach einer Einheit der Arbeiterbewegung und dem Misstrauen gegenüber den Motiven der Kommunisten klar, aber diplomatisch geschickt zum Ausdruck gebracht. Die Kritiker einer sofortigen Vereinigung mit der KPD, heißt es, "wollen den Zusammenschluss nur, wenn er in allen Zonen möglich ist, da sonst die Spaltung der Arbeiterschaft in Ostdeutschland einerseits, und in West-, Nord- und Süddeutschland andererseits zu befürchten sei und damit auch die Schaffung einer politischen Einheit Deutschlands fragwürdig werde."

Die KPD-Führung lehnt eine Vereinigung mit der SPD in den nicht sowjetischen Zonen strikt ab. Ihr schwant, dass ihre in Moskau geschulten Funktionäre in freien Wahlen chancenlos sind. Die SPD ist nicht nur erheblich mitgliederstärker, sie lässt auch überall, wo erste freie Wahlen stattfinden, die Kommunisten weit hinter sich.

Die Resolution mündet "getreu der demokratischen Übung unserer Bewegung" in Fragen, die jedes Mitglied beantworten soll: "Bist Du für den sofortigen Zusammenschluss beider Arbeiterparteien? Ja/Nein. Oder: Bist Du für ein Bündnis beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert und den Bruderkampf ausschließt? Ja/Nein."

In den folgenden Wochen wird der Text in den Parteigliederungen lebhaft diskutiert. Als sich abzeichnet, dass die Urabstimmung wohl keine Mehrheit für die Vereinigung bringen wird, verbietet die sowjetische Militärverwaltung in ihrem Sektor kurzerhand die Teilnahme an der Abstimmung.

Den zweiten Teil der Frage bejahen übrigens 14 663 Abstimmende. 5559 stimmen auch hier mit Nein. 

Die KPD und ihre sowjetischen Lenker lassen sich von dieser eindeutigen Ablehnung ihrer Pläne nicht beirren. Sie folgen ohnehin der Devise: Wahlen sind nur gut, wenn wir das Ergebnis vorher festlegen können. Der Weg zur Auflösung der SPD im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands ist beschlossene Sache und wird konsequent gegangen. Mit Demokratie und Freiheit hat das von Anfang an nichts zu tun – also auch nicht mit Sozialismus.