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1985 | Perestrojka

Foto: Michail Gorbatschow winkt 1989 von der Tribüne des Roten Platzes während einer Feier zum Tag der Revolution
dpa

11. März 1985
Der Kommunismus schafft sich ab

Michail Gorbatschow tritt an die Spitze der mächtigsten Partei der Welt, der KPdSU. Ein Jahr später ruft er Perestrojka und Glasnost aus. Sein Reformversuch endet in der Bankrotterklärung einer Weltmacht und des "real existierenden Sozialismus".

Am Ende löst sich die Sowjetunion auf. Der Eiserne Vorhang verschwindet. Der Kalte Krieg ist vorüber.

Michail Sergejewitsch Gorbatschow ist ein Apparatschik. Eigentlich. 1931 im Dorf Priwolnoje bei Stawropol als Armeleutekind geboren ist er in und dank der Kommunistischen Partei aufgestiegen. Aber anders als die allermeisten Funktionäre um ihn herum verschließt er nicht die Augen vor den Fehlern und Verbrechen der strikt zentralistischen und selbstgerechten Staatspartei.

"Initiative ist strafbar" beschreibt Gorbatschow in seinen Erinnerungen das systematische innere Duckmäusertum des Kommunismus. Dessen Herrschaftsmittel ist auch nach dem Ende des mörderischen Stalinismus die Verbreitung von Angst: der "Angst, etwas falsches zu sagen oder zu tun."

"Die Werte, an die ich glaube..."

Reisen in westliche Länder, auch und gerade der Kontakt zu Willy Brandt und der Sozialistischen Internationale, lassen Gorbatschow zu einem Sozialdemokraten werden - auch wenn er dieses Wort erst in der Rückschau verwendet.

"Die sozialpolitischen Werte, an die ich geglaubt habe und weiterhin glaube, sind: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität... Unter diesem Zeichen kamen die großen Massenbewegungen auf. Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass eine Gesellschaft ohne den Wert der Freiheit, ohne die Idee der Gerechtigkeit in Politik und Leben, ohne Solidarität und ohne allgemeinverbindliche moralische Normen nur totalitär oder autoritär sein kann."

Perestrojka heißt Umbau. Glasnost: Offenheit. Gorbatschow spricht zunächst, noch ganz im Jargon des Systems, von einer "Beschleunigung der realökonomischen Entwicklung".

Was als Versuch beginnt, die verkrusteten Strukturen und Entscheidungswege der Kommunistischen Partei zu entkalken, endet mit der Selbst-Entmachtung der sowjetischen Nomenklatura, der alles beherrschenden Parteibürokratie.

Die Partei gewährt Meinungsfreiheit

Der zunächst noch schier allmächtige Generalsekretär gewährt Meinungs- und Pressefreiheit. Personalentscheidungen fallen bald nicht mehr in den engsten Zirkeln der Macht. 

Staatsunternehmen werden von den Fesseln weltfremder 5-Jahres-Pläne befreit. Sowjetische Panzer stehen nicht mehr bereit, Diktaturen in anderen Staaten vor dem Volk zu schützen.

Als die Völker der Sowjetunion und des Ostblocks merken: Gorbatschow meint es ernst, nutzen sie die neuen Freiheiten radikaler, als es dem Reformer lieb ist. 1991 löst sich die Sowjetunion auf, und die KP verliert in freien Wahlen ihre Vormachtstellung.

Zuvor schon wenden sich die Polen, die Ungarn und die Menschen in der DDR vom Kommunismus ab. Gorbatschows Versuch, die KPdSU in eine sozialdemokratische Partei zu verwandeln, scheitert.

Russland erliegt den Verlockungen des wilden Kapitalismus

"Im November (1991) sollte das neue Programm einer sozialdemokratischen Partei zur Diskussion stehen," schreibt Gorbatschow in seinen Erinnerungen.

Daraus wird nichts mehr. Die KP wendet sich von Gorbatschow ab. Und Russland wendet sich einem enthemmten Kapitalismus zu. Die cleveren Teile der Nomenklatura bereichern sich an Volkseigentum und erfinden sich als Kapitalisten neu. Die zarte Pflanze Demokratie muss seither viel aushalten. Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen, leben in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gefährlich.

Gorbatschow, dem 1990 der Friedensnobelpreis verliehen wird, wird in seiner Heimat als Zerstörer eines stolzen Reiches beschimpft. "Helden des Rückzugs" (Hans Magnus Enzensberger) sind eben nicht populär.

Dabei kann Gorbatschow stolz und zu Recht feststellen: "In den Perestrojka-Jahren ist die bürgerliche Gesellschaft in Russland gleichsam aufgewacht und gewachsen."

Aus "Schräubchen" werden Bürgerinnen und Bürger

"Mein Anliegen war, unsere Gesellschaft frei, human und demokratisch zu machen und sich nicht auf Gewalt, sondern auf das Bewusstsein und die Aktivität der Menschen selbst zu stützen." Auf dass der Mensch kein "Schräubchen" mehr sei.

Sondern ein freier, aktiver "Teilnehmer an sozialpolitischen Prozessen, der seine eigene Wahl treffen, Einfluss auf sein persönliches und politisches Schicksal, auf den Gang der Dinge in seiner Umgebung und seinem Land nehmen kann..., das war das Ziel der Perestrojka."

Es ist das gleiche Anliegen, das die Gründerinnen und Gründer der SPD, das August Bebel, Marie Juchacz, Otto Wels, Willy Brandt und seither viele andere überzeugte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten angetrieben hat - und weiter antreiben muss. Denn wie das Schicksal der Sowjetunion zeigt: Es erledigt sich nie.